Mehr als Reich – Artikel der Zeitschrift Kristall 1962
Chef der grössten Porzellanwerke der Welt ist der 45jährige Rosenthal. Mit modernen Formen und Dekore hat er in diesem Bereich des Gebrauchsgegenstandes einen neuen und sehr zeitgemässen Stil durchgesetzt: die Studio Linie aus Selb in Bayern, dem Stammsitz der Rosenthal Porzellan AG. Die hab ich gestern in Dänemark gekauft! Er zeigt eine neue Tabakspfeife. Er könnte auch sagen: Vor ein paar Stunden in Rom gekauft oder in Dublin, Entfernungen spielen bei ihm keine Rolle. Denn Philip Rosenthal, Vorstandsvorsitzender der vom Vater gegründeten Grossfirma, besitzt ein Privatflugzeug und kann also rasche Hüpfer machen oder auch grosse Sprünge. Und die macht er. Was alles sich der 1,87 Meter hohe Industrieboß in der saloppen Wildlederjacke dank seines geschäftlichen Erfolges erlauben kann, beunruhigt überraschenderweise ihn selbst. Die Überraschung legt sich, wenn man ihn kennenlernt. Er ist Geschäftsmann, der um keinen Preis nur Geschäftsmann sein möchte. Mit dem auf ihn selbst gemünzten Edel-Slogan „Verleger des Guten“ hat er ausgedrückt, was ihm am Herzen liegt: Mehr sein als bloß reich.
Kristall – Die aussergewöhnliche Illustrierte, 1. Vj. 1962; Text: Gerd Klepzig
Der ehemalige Junior und Sohn-Erbe des ersten Rosenthal, der seinen Namen zur Qualitätsmarke für Porzellan in der ganzen Welt gemacht hatte, wollte keineswegs Nachfolger seines Vaters werden. Nicht nur die Berufshatz des Firmengründers und Generaldirektors (mit 20% Anteile) schreckte das Kind Philip ab, das geboren wurde, als der grosse Rosenthal bereits 61 Jahre zählte. Aus der schon planierte Weg, das gemachte Bett, der unübertreffbare Ruhm des Vaters, des Ersten, behagte ihm nicht. Er wollte lieber Professor werden. Nach sorgfältiger Erziehung in der Schweiz und in England erwarb der junge Mann an der Universität Oxford einen akademischen Grad, der unserem Doktortitel entspricht (Masters of Arts). Der erste Plan des frischgebackenen Doktors: eine wissenschaftliche Expedition in die Mongolei. Die Mongolei hatte er sich nicht zuletzt deshalb ausgesucht, weil bis dahin noch wenig über dieses Gebiet geschrieben worden war.
Es bestand also Aussicht, dort Neuigkeiten zu entdecken und sich auszuzeichnen – durch eigenen Verdienst. Ein vernünftiger Grund. Die Gabe der Vernunft, die ihn später entscheidend mitbestimmte, entgegen allen (oder einigen) Neigungen das Erbe seines Vaters dann doch zu ergreifen, setzte allerdings 1939 vorübergehend aus. Als der zweite Weltkrieg den jungen Rosenthal auf einer Frankreich Reise überraschte, meldete er sich Hals über Kopf in die Fremdenlegion, um mit dabeizusein und die Welt von unten kennenzulernen. Das gelang ihm über die Maßen, während er in der Sahara Dienst schob. Erst sein vierter Fluchtversuch geriet nach Wunsch – er entkam nach Gibraltar und England, wo er Journalist wurde. Kein Interesse an Porzellan. Der Journalismus sag er jedoch, ist eine der besten Lehren für den Kaufmann. Ein Journalist muss, wie ein Kaufmann, eine gute Sache erkennen und sie gut formulieren, um sie anzubringen. Das gute Erzeugnis ist ja gar nichts wert, wenn man es nicht anbringt.