Industriespionage, Fälschungen und feindliche Übernahmen

Einige der Guanyin-Figuren tragen sogar ein Kruzifix um den Hals. Schwer zu sagen, wie die Porzellankünstler darauf kamen. War es das Ergebnis der europäischen Missionsversuche? Oder doch eher die Folge des tausendfachen Abkopierens von Madonnabildern für den Export? Umgekehrt zeigte sich der Einfluss übrigens mindestens ebenso deutlich. Im Westen entwickelte sich zu jener Zeit eine Asienmode, und August der Starke war einer ihrer passioniertesten Anhänger und als seine Produktion in Meißen endlich anlief, nahm er die schönsten Kostbarkeiten aus seinen Vitrinen zum kopieren. Allerdings taten sich die Meissner Porzellanmaler bei exotischen Tieren wie den beliebten Tiger ebenso schwer wie einst ihre Kollegen in Japan. August der Starke selbst hatte offenbar wenig gestört, dass manche der Raubkatzen auf seinen Tellern eher wie Möpse aussahen, hatte er doch selbst seinen Lebtag keinen Tiger zu Gesicht bekommen.

Auch menschliche Figuren – vorallem deren Gewänder – waren eine Heraus- forderung, welche die Handwerker mangels Anschauung nur mit Fantasie meistern konnten. Die Porzellanchinesinnen tragen Gewänder, die verdächtig den Morgenröck- en ähneln, in denen sich die westlichen Damen von den Qualen ihres eng geschnürten Mieders zu erholen pflegten. Und Buddha, dem Erleuchteten, wurde in Meißen statt der Mönchsrobe auch schon mal ein Umhang mit goldenen Streublümchen übergezogen. Bei der Pflanzenmalerei kam es ebenfalls zu interkulturellen Verwirrungen: sie sollten sogar besonders lange nachwirken. So entwickelten die Meissner 1728 ein Dekor, dass sich in der Farbwahl Blau-Weiß wie auch in den Motiven an klassischen chinesischen Vorbildern orientierte: an Lotusknospen, chinesische Pfirsiche und Granatäpfeln. Ganz genau wusste es bald keiner mehr. Die fremden Pflanzen gerieten den sächsischen Malern nämlich reichlich vage, weshalb manch einer darin Zwiebeln zu erkennen glaubte und das blaue Gerank irgendwann sogar offiziell den Zwiebelmuster bekam.

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