Feindliche Brüder Hutschenreuther und Rosenthal

War die einstige Harmonie in Selb nur Fassade? Im Herzen Oberfrankens, wo Porzellan jahrzehntelang als „weißes Gold“ galt, entbrannte Mitte des 20. Jahrhunderts ein erbitterter Machtkampf zwischen zwei Giganten: Hutschenreuther und Rosenthal. Zwei Namen mit Weltruf – doch während das Publikum sie als Vorreiter deutscher Manufakturkunst feierte, lief hinter den Kulissen ein gnadenloser Konkurrenzkampf.

Anfangs mochte man von gesundem Wettbewerb sprechen. Doch spätestens in den 1970er Jahren wandelte sich das Kräftemessen zu einem vorsätzlich geführten Stellungskrieg vor Gericht und in der Wirtschaftspresse. Wie konnte es dazu kommen? Rosenthal inszenierte sich als Avantgarde-Label, das mutige, moderne Entwürfe in Szene setzte. Hutschenreuther hingegen klammerte sich an bewährte Klassiker, bevorzugte konservative Dekore und eine traditionelle Markenführung. Zwei diametral entgegengesetzte Strategien – mit unversöhnlichen Folgen.

Nicht nur auf dem Papier, auch im Stadtraum von Selb wurden die Gräben sichtbar. So sollte Rosenthal ein Hallenbad errichten – doch Hutschenreuther reagierte prompt mit dem Bau eines Freibads in direkter Konkurrenz. War das noch legitimes Marketing oder schon gezieltes Ausstechen des Rivalen? Bald folgte der nächste Aufschlag: Die Kollektionen „Plus“ und „Rendezvous“ gerieten in einen Designstreit, der schließlich in den Gerichtssälen endete.

Heute verbinden wir beide Namen nicht nur mit exquisiter Porzellankunst, sondern auch mit einem Lehrstück strategischer Auseinandersetzung. Rosenthal versuchte, sein Portfolio um Glaskunst, Möbel und Designpreise zu erweitern – strebte nach einer Rolle als Gesamtkulturmarke. Hutschenreuther setzte verstärkt auf Übernahmen und eine breite Produktpalette, um Marktanteile zu sichern. Welche Taktik erwies sich als erfolgversprechender? Letztlich verschob sich die Waage ein wenig zugunsten des Traditionshauses, doch wer ging wirklich als Sieger hervor?

Die juristischen Schlagzeilen über Markenschutz und Urheberrechtsklagen hallen bis heute nach. Noch Jahrzehnte später wirft der Konflikt Fragen auf: Wie weit darf man im Namen des Wachstums gehen? Und was bleibt am Ende von Tradition und Innovation, wenn beide Seite um jeden Zentimeter Markt ringen? Die Chronik jenes Streits in Selb – dokumentiert nicht zuletzt in der ZEIT-Ausgabe vom 23. Mai 1975 – bleibt ein faszinierendes Beispiel dafür, wie eng Euphorie und Eskalation beieinanderliegen können.

Literaturquelle:

DIE ZEIT, 23.05.1975 Nr. 22

porzellanselb

Ich kaufe Porzellan überwiegend von Rosenthal und KPM von 1950 bis 1980 Studio-Line, Hubert Griemert, Tapio Wirkala, Victor Vasarely, Grießhaber, Otto Piene, Wolf Karnagel und viele mehr.