Porzellanfabrik Josef Rieber & Co. (1868–1971)
Ausgehend von einer Porzellanmalerei in Selb (ab 1868) entwickelte sich die Marke Rieber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem Verbund mehrerer Produktionsstätten – mit Standorten in Selb, Thiersheim und Mitterteich. Typisch waren alltagstaugliche Serviceprogramme, exportfähige Dekore (u. a. Japonais) und eine arbeitsteilige Organisation zwischen Formgebung und Veredelung.
Ursprung (Selb) & Ausbau zum Verbund
1868 gründete Joseph Rieber in Selb ein Dekorationsatelier. In den Folgejahren entstanden Vertriebsbeziehungen und Musterlager, die den späteren Verbund trugen. Ein Meilenstein war 1918 die Übernahme der Fabrik Julius Rother & Co. in Mitterteich – damit holte Rieber eigenständige Serienfertigung ins Haus.
1923 folgte die Umwandlung zur Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG mit den Werken Selb (Veredelung/Leitung), Thiersheim (Haus- & Tafelgeschirr) und Mitterteich (große Serien).
Programm, Dekore & Export
- Schwerpunkte: Tee-/Kaffeeservices, Teller, Schalen, alltagstaugliche Formfamilien.
- Dekorprofil: Japonais (von Rother übernommen) als bewusste Alternative zu Strohblume und Zwiebelmuster; moderne Bordüren- und Blumenmalereien.
- Export: Belieferung von Kunden in Großbritannien, Skandinavien, den USA sowie weiteren europäischen Märkten.
Organisation & Belegschaften
Rieber arbeitete in einer standortübergreifenden Struktur: Formenherstellung und Brand in den Produktionswerken, Veredelung/Disposition zentral geführt. Um 1930 beschäftigten Selb + Thiersheim zusammen rund 150 Personen; Mitterteich etwa 200. Die Ausrichtung auf Serienstückzahlen bei anhaltender Qualitätskontrolle prägte das Profil.
Nachkriegszeit – 1950er/60er & Ende 1971
Nach 1945 stabilisierte der Verbund Produktion und Export, modernisierte Brenn- und Glasurtechnik und hielt am Markenprofil fest. Ab den späten 1960ern verstärkten Branchenkrisen (Preis-/Importdruck, Nachfrageverschiebungen) die strukturellen Schwächen einer starren Organisation. 1971 musste die Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG Insolvenz anmelden; die Werke wurden stillgelegt.
Timeline – Porzellanfabrik Josef Rieber & Co.
1868
Gründung der Porzellanmalerei Joseph Rieber in Selb (Dekorationsatelier, Musterlager/Vertretungen).
1918
Übernahme Julius Rother & Co. in Mitterteich – Einstieg in eigenständige Serienfertigung.
1923
Gründung der Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG (Selb–Thiersheim–Mitterteich).
~1930
Verbundspitze: Selb+Thiersheim ~150 MA, Mitterteich ~200 MA; gesicherte Exportmärkte.
1950er–1960er
Technische Erneuerung, stabile Serien, Profil durch Japonais-Dekore und klassische Service.
1971
Insolvenz und Stilllegung der Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG.
Vernetzung: Rieber (Thiersheim) ↔ Schwarzenhammer
Thiersheim und Schwarzenhammer lagen logistisch eng beieinander – beide Orte nutzten Bahnanschlüsse und belieferten Märkte im In- und Ausland. Diese Schnittstelle verknüpft das Rieber & Co. AG – Werk Thiersheim mit der Porzellanfabrik Schumann & Schreider in Schwarzenhammer.
Rieber & Co. AG – Werk Thiersheim
- Erweiterungswerk für Haus- & Tafelgeschirr im Rieber-Verbund (Selb, Mitterteich).
- Bahnhofsnahe Lage für Zufuhr und Versand; Export über Verbundvertreter.
- Gemeinsame Spitze mit Selb: ca. 150 Mitarbeitende um 1930 (Mitterteich ~200).
Schumann & Schreider – Schwarzenhammer
- Gegründet 1905; Spezialität: Zwiebel- & Strohblumendekore, später Export „US Zone“.
- Wachstum bis ~400 Mitarbeitende (um 1937), Aufgabe 1986; Flächensanierung 1998–2005.
- Wichtiger Knoten im Rehauer Porzellangeflecht (Form, Dekor, Exportmärkte).
Gemeinsame Schnittmengen
- Logistik: Bahnanschlüsse → schnelle Zufuhr von Rohstoffen (Kaolin, Quarz, Feldspat) & Versand der Weiß- und Fertigware.
- Arbeitsteilung: Serienfertigung (Form) ↔ freie/werksinterne Dekore; Austausch von Personal und Know-how.
- Export: Vertreter- und Musterlager-Netze (Rieber & Schumann) bedienten Europa & Übersee.
Porzellanfabrik Julius Rother (1899–1904)
Die Fabrik wurde 1899 von Julius Rother gemeinsam mit seiner Frau Fanny (geb. Schicker) gegründet. Sie begann mit nur einem Brennofen. Erster Direktor war Erich Gerstner, der später betonte, dass Rother alle Produktionsschritte von Grund auf erlernt hatte und über ausgezeichnete Kenntnisse verfügte. Rother war bei seinen Arbeitern hoch angesehen – er galt als freundlich, großzügig und zahlte überdurchschnittlich. Ein Porzellanmaler konnte sich etwa zwei Anzüge im Jahr leisten – für die damalige Zeit ein außergewöhnlicher Verdienst. Um 1900 trat der Ascher Kaufmann Gustav Gerstner als stiller Teilhaber hinzu.
Porzellanfabrik Julius Rother & Co. (1904–1918)
1904 stieg Julius Matthes als aktiver Direktor und Gesellschafter ein. Er verantwortete die kaufmännischen und finanziellen Belange, während die Rothers den Fabrikbetrieb führten. 1912 zogen sich die Rothers zurück. Die Fabrik beschäftigte zu diesem Zeitpunkt rund 150 Arbeiter. 1914 waren bereits vier Brennöfen in Betrieb, und die Leitung teilten sich Gerstner und Matthes, unterstützt durch Ernst Gerstner. In dieser Phase exportierte die Fabrik nach England, in die Niederlande, die USA und bis nach Australien. 1918 verkaufte Matthes seine Anteile an das Dekorationsatelier Julius Rieber in Selb, gegründet 1868. Rieber erkannte die Chancen und übernahm das Werk vollständig.
Porzellanfabrik Joseph Rieber & Co. OHG (1918–1923)
Ernst Gerstner blieb als Prokurist im Unternehmen. Die Fabrik expandierte kontinuierlich, besonders nach der Gründung einer Zweigstelle in Thiersheim. 1923 erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte das Unternehmen zwischen 200 und 250 Arbeiter.
Porzellanfabrik Joseph Rieber & Co. AG (1923–1971)
Von nun an firmierte das Unternehmen als Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG Selb-Thiersheim-Mitterteich, auch wenn die drei Werke eigenständig arbeiteten. Das Werk Mitterteich spezialisierte sich auf Haushaltsgeschirr und Service. Eine besondere Stellung nahm das Japonais-Dekor ein, das Rieber von Rother übernommen hatte und das japanische Vorbilder adaptierte. Es bot eine Alternative zu den weit verbreiteten Dekoren Strohblume und Zwiebelmuster.
Die Exportmärkte weiteten sich aus – nach Skandinavien, England und die USA. Trotz eines Brandes im Januar 1925 mit Produktionsausfällen wuchs die Belegschaft weiter. 1930 beschäftigte man rund 200 Mitarbeiter in Mitterteich und 150 in Selb und Thiersheim. Doch langfristig konnte die starre interne Struktur den wachsenden Anforderungen nicht standhalten. 1971 folgte die Insolvenz des Unternehmens.
Timeline – Julius Rother & Nachfolger
1899
Gründung der Porzellanfabrik Julius Rother in Selb.
1900
Beitritt von Gustav Gerstner als stiller Teilhaber.
1904
Umwandlung in Julius Rother & Co.; Einstieg von Julius Matthes.
1912
Rückzug der Familie Rother; Leitung durch Gerstner & Matthes.
1918
Übernahme durch Julius Rieber; Umwandlung in Joseph Rieber & Co. OHG.
1923
Umwandlung in eine Aktiengesellschaft; Erweiterung nach Thiersheim.
1930
Rund 350 Mitarbeiter in drei Werken (Selb, Thiersheim, Mitterteich).
1971
Bankrott der Porzellanfabriken Josef Rieber & Co. AG.