Charles Crodel und seine Zeit in Marwitz
Maler, Kunstgewerbler und Keramikgestalter in den HB-Werkstätten der 1930er-Jahre
Biografie
Charles Crodel wurde 1894 in Marseille geboren und wuchs in Deutschland auf. Er studierte Malerei und Grafik, wurde Professor und arbeitete als freier Künstler. Crodel gehörte zu den vielseitigen Gestaltern seiner Zeit: Er war in der Glasmalerei ebenso tätig wie in der Grafik, Wandmalerei und in der angewandten Kunst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Professor in Halle und später in München. Crodel starb 1973.
Crodel in Marwitz
In den 1930er-Jahren kam Crodel nach Marwitz, wo er mit Hedwig Bollhagen in den neu gegründeten HB-Werkstätten für Keramik zusammenarbeitete. Nach dem Zwangsverkauf der Haël-Werkstätten 1934 war es das Ziel, der neuen Werkstatt ein modernes, eigenständiges Profil zu geben. Crodel entwarf dort Dekore für Serienkeramik, die sich durch klare, ornamentale Strukturen auszeichneten. Seine Muster – Linien, Punkte, Streifen – ließen sich gut in der Serienproduktion umsetzen und passten perfekt zu den schlichten Formen von Bollhagen.
Crodel in der NS-Zeit
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 geriet Crodel früh unter Druck. Seine Malerei galt als „entartet“, 1937 wurden Arbeiten von ihm in der Ausstellung Entartete Kunst gezeigt. Er verlor seine Professur in Halle und durfte offiziell nicht mehr frei künstlerisch tätig sein.
In dieser Zeit orientierte sich Crodel stärker zur angewandten Kunst. Die Mitarbeit in den HB-Werkstätten in Marwitz bot ihm die Möglichkeit, weiterhin schöpferisch zu arbeiten. Seine Entwürfe für Keramikdekore – Streifen, Punkte, Linienmuster – konnten unauffällig in die Serienproduktion eingehen. Auf diese Weise blieb er trotz Verfolgung künstlerisch präsent und trug zugleich zum Profil der Werkstatt bei.
Marwitz wurde für Crodel so zu einem Ort der Zuflucht und des künstlerischen Überlebens in einer Zeit, in der moderne Künstler in Deutschland massiv unterdrückt wurden.
Werk und Dekore
Crodel war kein Keramiker im handwerklichen Sinn, sondern brachte seine Erfahrung als Maler und Ornamentgestalter ein. Seine Entwürfe verliehen der HB-Keramik eine künstlerische Tiefe und setzten Akzente in einer Zeit, in der die politische und wirtschaftliche Situation schwierig war. Gerade durch die Zusammenarbeit mit Bollhagen gelang es, Bauhaus-orientierte Gestaltungsprinzipien weiterzuführen und zugleich eine eigenständige Linie für die HB-Werkstätten zu entwickeln.
Crodel und die Sgraffito- / Ritztechnik
Neben seinen malerischen und grafischen Arbeiten entwickelte Crodel auch keramische Dekore in Sgraffito- und Ritztechnik. Dabei wurde eine farbige Engobe auf die Oberfläche aufgetragen und anschließend Linien oder Ornamente in die noch feuchte Schicht eingeritzt. So trat der darunterliegende Ton farblich hervor und erzeugte ein lebendiges grafisches Spiel.
Die auf diese Weise entstandenen Dekore – Streifen, Punkte, Zickzackmuster oder geometrische Figuren – waren klar, sachlich und zugleich künstlerisch anspruchsvoll. In den HB-Werkstätten Marwitz wurden solche Arbeiten in die Serienproduktion integriert. Damit erhielten Alltagsgegenstände eine besondere künstlerische Qualität und verbanden traditionelle Technik mit moderner Bauhaus-Formensprache.
Bedeutung
Crodel half mit, die HB-Werkstätten nach 1934 zu stabilisieren und künstlerisch aufzuwerten. Seine Dekore sind ein Beispiel für die Verbindung von bildender Kunst und angewandter Keramik. In Marwitz begegnete er auch anderen Reformgestaltern wie Theodor Bogler oder Werner Burri. Damit wurde Marwitz in den 1930er-Jahren zu einem Knotenpunkt der modernen Keramikgestaltung in Deutschland.
Timeline – Charles Crodel
- 1894 – Geburt in Marseille
- 1930er – Mitarbeit in Marwitz bei den HB-Werkstätten
- 1945 – Professor in Halle (Burg Giebichenstein)
- 1950er – Professur in München, Arbeiten in Glasmalerei und Grafik
- 1973 – Tod