Henry van de Velde

Henry van de Velde und die Keramik – vom Kunsthandwerk zur modernen Formkultur

Architekt, Designer, Theoretiker – und ein Erneuerer der Keramik. Henry van de Velde prägte um 1900–1914 eine funktionale, moderne Gefäßsprache, die Handwerk und Alltag neu verband.

Einführung

Henry van de Velde (1863–1957) gilt als Wegbereiter der europäischen Moderne. Bekannt wurde er als Architekt, Designer, Kunsttheoretiker und Mitbegründer des Werkbundes. Weniger im Fokus, aber ebenso prägend, ist sein Wirken in der Keramik: Hier setzte er entscheidende Impulse für die Erneuerung der Formgestaltung. Seine Auseinandersetzung mit dem Material zeigt beispielhaft, wie er die Grundsätze des Jugendstils – und später der Moderne – in den Alltag der Menschen überführen wollte.

Frühe Jahre – Einflüsse & erste Entwürfe

Ursprünglich als Maler ausgebildet, wandte sich van de Velde um 1890 dem Kunstgewerbe zu. Seine Überzeugung: Kunst soll den Alltag prägen. Dies führte ihn zu Möbeln, Metallarbeiten, Glas – und zur Keramik. Bereits in Belgien entwarf er Gefäße mit klaren, vom Historismus gelösten Formen: geschwungene Linien, organische Bewegtheit und eine neue Ornamentik, die aus der Form heraus entsteht, statt sie zu überlagern.

Weimarer Zeit & Thüringen (ab 1902)

Eine Schlüsselphase beginnt 1902, als van de Velde nach Weimar berufen wird und die Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule aufbaut (Vorläufer des Bauhauses). Er sucht gezielt die Nähe zur thüringischen Töpfertradition in Bürgel und Dornburg, um Entwürfe praktisch umzusetzen und die Werkstattkultur zu erneuern. Die Nähe zu regionalen Betrieben wurde zum Labor einer modernen, nüchternen Gefäßauffassung.

Zusammenarbeit in Bürgel: Carl Gebauer (ca. 1902–1914)

Auktionskataloge belegen, dass in Bürgel Keramiken nach Entwürfen van de Veldes entstanden, ausgeführt von der Thon- und Majolikawarenfabrik Carl Gebauer. Die Datierung fällt in van de Veldes Weimarer Wirkungszeit (ca. 1902–1914). Die Gefäße zeichnen sich durch schlichte Silhouetten, ruhige Proportionen, plastisch betonte Körper und häufig monochrome, die Form betonende Glasuren aus – ein Bruch mit der bis dahin verbreiteten, reich dekorierten Majolika. Damit legte van de Velde eine Basis für die funktionale, moderne Gefäßsprache in Thüringen.

Gestaltungsprinzipien – Form aus Funktion

Für van de Velde musste die Form aus dem Gebrauch hervorgehen. In der Keramik bedeutet das: Gefäße ohne überflüssiges Dekor; Konzentration auf Linie, Wandung, Übergänge zwischen Körper, Hals und Mündung. Glasuren fungieren nicht als Überladung, sondern als Hervorhebung der Form. Diese Haltung weist auf das spätere Bauhaus voraus – van de Velde antizipiert die Sachlichkeit, ohne die handwerkliche Würde des Materials zu verlieren.

Pädagogische Wirkung – Weimar, Burg Giebichenstein, Dornburg

Über eigene Entwürfe hinaus war van de Velde als Lehrer prägend. In Weimar bildete er eine Generation von Gestalterinnen und Gestaltern aus, die seine Prinzipien in der Keramik weitertrugen. Sein Einfluss auf Orte wie die Burg Giebichenstein (Halle) und die thüringischen Werkstätten in Dornburg kann kaum überschätzt werden. Namen wie Otto Lindig oder Theodor Bogler, die später das Bauhaus-Keramikprogramm formten, stehen in dieser Tradition der funktionsbezogenen, materialbewussten Gefäßgestaltung.

Bedeutung für die Moderne & heutige Rezeption

Van de Veldes Keramiken sind heute selten und werden auf Auktionen hoch gehandelt, besonders Stücke aus der Zusammenarbeit mit Bürgeler Werkstätten. Sie dokumentieren den Übergang vom dekorativen Jugendstil zur modernen Sachlichkeit. Für van de Velde war Keramik ein Gebrauchsgegenstand mit künstlerischem Anspruch – ein Medium, in dem sich seine Idee einer Einheit von Kunst und Leben exemplarisch zeigt.

Fazit

Zwischen 1902 und 1914 nutzte Henry van de Velde die Keramik als Experimentierfeld seiner Gestaltungsprinzipien. In enger Verbindung zu thüringischen Töpfereien – etwa zur Fabrik Carl Gebauer in Bürgel – entstanden Gefäße, die Handwerkstradition und moderne Alltagskultur verbanden: weniger Ornament, mehr Form; weniger Kunstobjekt, mehr kluger Gebrauchsgegenstand. Damit wurde van de Velde zu einem der wichtigsten Wegbereiter der modernen Keramik in Europa.

Henry van de Velde und die Bürgeler Tonwarenfabriken

Zusammenarbeit, Entwürfe und Nachwirkungen in der Thüringer Keramik um 1900

Einführung

Henry van de Velde (1863–1957) prägte die Entwicklung der angewandten Kunst in Deutschland und speziell in Thüringen entscheidend. Zwischen 1902 und dem Ersten Weltkrieg arbeitete er eng mit den Bürgeler Tonwarenfabriken zusammen. Seine Entwürfe, technologische Anregungen und ästhetischen Vorgaben beeinflussten Hersteller wie Franz Eberstein, Carl Gebauer, Max Hohenstein und Carl Albert Schack nachhaltig.

Zusammenarbeit mit den Bürgeler Fabrikanten

Van de Velde lieferte ab 1902 regelmäßig Entwürfe an die Bürgeler Töpfereien. Besonders eng war die Kooperation mit der Hofkunstöpferei Franz Eberstein, die im Begleitheft der Dritten Deutschen Kunstgewerbe-Ausstellung 1906 in Dresden als einziger Bürgeler Hersteller mit Entwürfen van de Veldes aufgeführt wurde. Auch Carl Gebauer arbeitete nach seinen Zeichnungen und sandte 1907 und 1908 Belegstücke nach Weimar. Gebauer verzeichnete allein 14 verschiedene Keramikformen in enger Zusammenarbeit mit van de Velde.

Weitere Partner waren Max Hohenstein, der nach 1910 zahlreiche Schülerarbeiten in die Produktion übernahm, sowie Carl Albert Schack, dessen Fabrik sich 1905 der Umsetzung neuer Entwürfe widmete. Bemerkenswert ist, dass van de Velde den Betrieben nicht nur Modelle sandte, sondern auch dekorative Vorgaben wie Punktdekor, Engoben und Laufglasuren einführte.

Gestaltung & technische Neuerungen

Van de Velde kritisierte früh die traditionelle Anwurfglasur und forderte modernere Verfahren. Er setzte auf mehrfarbige Laufglasuren, Punkt- und Linienornamente sowie auf Reliefs, die direkt in den Ton eingelegt wurden. Seine Schüler in Weimar lieferten zahlreiche Entwürfe, die in Bürgel ausgeführt wurden. Auch die Nutzung von Engoben zur Erzeugung farbiger Oberflächen sowie die Kombination verschiedener Glasurschichten geht auf seine Anregungen zurück.

Die Fabriken setzten diese Ideen in Serienproduktion um – darunter zweihenkelige Vasen, Urnen und Tafelgeschirr. Besonders markant sind Stücke in Blau-Weiß, die später zum typischen Bürgeler Dekor wurden.

Probleme & Grenzen

Die Umsetzung war nicht ohne Schwierigkeiten: Technische Probleme traten bei der Formherstellung und beim Abgießen der in Weimar gelieferten Modelle auf. Mehrfach berichteten die Fabrikanten über beschädigte Gipsformen oder das Schrumpfen beim Brand. Auch van de Velde selbst bemängelte, dass nicht alle seine Entwürfe korrekt umgesetzt wurden und einige Dekore nur in vereinfachter Form Anwendung fanden.

Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es, eine Vielzahl seiner Ideen in die Produktion zu übernehmen und in Serien zu verbreiten. So war Bürgel in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum der angewandten Jugendstil-Keramik.

Nachwirkungen & Bedeutung

Die Wirkung van de Veldes reichte weit über seine unmittelbare Tätigkeit hinaus. Noch in den 1920er Jahren griffen Bürgeler Töpfereien auf seine Anregungen zurück. Besonders die Kombination aus künstlerischem Anspruch und technischer Innovation machte seine Arbeiten wegweisend.

Heute gelten die von ihm beeinflussten Keramiken als eigenständiges Kapitel der deutschen Jugendstil-Keramik. Viele Stücke sind in Museen wie dem Keramik-Museum Bürgel erhalten. Typische Merkmale sind die klare Formgebung, die Reduktion auf einfache Ornamente und die innovative Glasurtechnik.

Timeline – Henry van de Velde & Bürgel (1902–1920)

  • 1902 – Van de Velde besucht Bürgel und initiiert erste Entwürfe für Töpferwaren.
  • 1905 – Zusammenarbeit mit Carl Albert Schack; Umsetzung von Entwürfen mit Laufglasuren.
  • 1906 – Dresdner Ausstellung: Franz Eberstein präsentiert Keramiken nach van de Velde.
  • 1907–1908 – Carl Gebauer fertigt mindestens 14 Modelle nach Entwürfen van de Veldes.
  • 1910 – Max Hohenstein übernimmt Schülerarbeiten der Weimarer Kunstgewerbeschule in die Produktion.
  • 1914–1915 – Kriegsjahre: Kooperation erschwert, dennoch Entwürfe für Glasuren und Formen weitergeführt.
  • 1920 – Nachwirkungen: Bürgeler Jugendstil-Keramik bleibt bis in die 1920er ein stilprägendes Phänomen.

Fazit

Henry van de Velde brachte Bürgel den entscheidenden Impuls zur Modernisierung. Er führte die Hersteller aus der Tradition des Historismus in die Moderne, verband Kunst mit industrieller Fertigung und hinterließ ein reiches Nachleben, das bis in die 1920er Jahre reicht. Damit wurde Bürgel zu einem der wichtigsten Zentren für künstlerische Gebrauchskeramik in Deutschland.

Henry van de Velde & das Westerwälder Steinzeug – Gerz & Hanke

Zwischen Jugendstil und Moderne: Wie Henry van de Velde mit den Höhrer Steinzeugfabriken Simon Peter Gerz und Reinhold Hanke zusammenarbeitete – Entwürfe, Umsetzung und Bedeutung.

Einführung

Um 1900 war der Westerwald mit Höhr-Grenzhausen das Zentrum deutscher Steinzeug-Produktion. Neben exportstarker Historismusware entwickelten einige Unternehmen früh eine offenere Haltung gegenüber Reformideen. Henry van de Velde (1863–1957), Leiter der Weimarer Kunstgewerbeschule, suchte ab 1902 gezielt die Kooperation mit innovativen Betrieben. Zu den wichtigsten Partnern zählten die Steinzeug- und Majolikafabrik Simon Peter Gerz (Höhr) sowie die Steinzeugfabrik und Kunsttöpferei Reinhold Hanke (Höhr). Ihre Zusammenarbeit markiert den Übergang vom ornamentreichen Historismus zu einer sachlicheren, formbewussten Steinzeugästhetik.

Simon Peter Gerz (Höhr) – Historismus & Aufbruch

1857 von Simon Peter Gerz I gegründet, profilierte sich die Fabrik mit reich reliefierten Krügen, Pokalen und Vasen im Historismusgeschmack. Um 1900/1910 öffnete sich das Programm moderneren Linien und Glasuren. Im Zuge der Kontakte nach Weimar wurden Entwürfe nach van de Velde umgesetzt – Krüge und Gefäße mit ruhigeren Silhouetten, reduzierten Reliefs und betontem Glasurspiel, die den Dekor zugunsten der Form zurücknahmen und die industrielle Reproduzierbarkeit verbesserten.

Reinhold Hanke (Höhr) – Kunsttöpferei & Preisniveau

1878 von Reinhold Hanke gegründet, galt die Kunsttöpferei / Steinzeugfabrik als besonders qualitätsorientiert und international ausgezeichnet. Hanke experimentierte früh mit farbigen Glasuren und plastischer Modellierung. Die Kooperation mit van de Velde führte zu Serien, die den Schritt von der historistischen Pracht zum formbetonten Gebrauchsstück sichtbar machten und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Ausstellungen stärkten.

Zusammenarbeit & Gestaltungsprinzipien

Van de Velde kritisierte die Überladung des Historismus und plädierte für klare, einfache Linien, plastisch betonte Proportionen und dekorgestützte Glasurwirkung statt ornamentaler Überfrachtung. In Höhr wurden nach seinen Entwürfen und Anregungen u. a. Gefäße mit ruhig gegliederten Körpern, reduzierten Reliefpartien, feinen Linien- oder Punktornamenten sowie Lauf- und Effektglasuren realisiert. Entscheidend war die Serienfähigkeit: die Formen ließen sich industriell wiederholbar fertigen, ohne ihren künstlerischen Anspruch zu verlieren.

Während Gerz stärker das exportfähige Seriensegment bediente (England/USA), verband Hanke Kunsttöpferei und Seriengedanken auf hohem Niveau – zwei komplementäre Wege, die die Weimarer Reformideen in die Praxis überführten.

Bedeutung & Rezeption

Die Kooperationen mit van de Velde machten das Westerwälder Steinzeug zum Bindeglied zwischen Historismus und Moderne. Auf Ausstellungen (u. a. im Umfeld der Dresdner Kunstgewerbeschau 1906) fanden die reduzierten, glasurbetonten Gefäße Beachtung. Für die Region bedeutete dies eine ästhetische Diversifizierung: Historismus blieb verkäuflich, aber „Weimarer“ Modernität setzte sich als zweite Linie durch – ein Vorgriff auf die spätere Bauhaus-Sachlichkeit.

Heute gelten frühe Serien nach van de Velde von Gerz und Hanke als gesuchte Sammlerobjekte. Sie lassen die Verfertigung der Moderne am Material erkennen: weniger Ornament, mehr Form; weniger Einzelkunst, mehr reproduzierbare Qualität.

Timeline – Gerz · Hanke · van de Velde

  • 1857 Gründung Simon Peter Gerz, Höhr (Steinzeug- & Majolikaproduktion).
  • 1878 Gründung Reinhold Hanke, Höhr (Steinzeugfabrik & Kunsttöpferei).
  • ab 1902 Henry van de Velde in Weimar; Beginn der Kooperationen mit Westerwälder Betrieben.
  • 1905–1906 Umsetzung früher Weimar-Entwürfe bei Gerz & Hanke; Präsentationen im Ausstellungsumfeld (z. B. Dresden).
  • 1910er Nachwirkungen: formbetonte, glasurorientierte Serien ergänzen das Historismusprogramm.

Ankauf · Westerwälder & Bürgeler Keramik

Wir suchen historische Steinzeug- und Majolika-Arbeiten folgender Hersteller: Simon Peter Gerz, Reinhold Hanke, Carl Gebauer, C. A. Schack, Eberstein / Hohenstein. Besonders interessant sind Stücke mit Bezug zu Henry van de Velde.

  • Reliefkrüge & dekorierte Steinzeuge
  • Gefäße & Services nach van de Velde-Entwürfen
  • Signierte Stücke („Gerz“, „RH“, „Carl Gebauer“ u. a.)
  • Ausstellungsobjekte & seltene Glasuren

Bitte senden Sie uns Fotos, Maße und Angaben zum Erhaltungszustand. Auch Einzelstücke, Nachlässe oder Sammlungen sind willkommen.

Ankaufsanfrage senden

Weiterführende Themen

porzellanselb

Ich kaufe Porzellan überwiegend von Rosenthal und KPM von 1950 bis 1980 Studio-Line, Hubert Griemert, Tapio Wirkala, Victor Vasarely, Grießhaber, Otto Piene, Wolf Karnagel und viele mehr.