Industriespionage, Fälschungen und feindliche Übernahmen

Industriespionage, Fälschungen und feindliche Übernahmen

Beitrags-Autor: porzellanselb – Beitrags-Kategorie: Porzellanstadt Selb

Schon lange vor der Gründung der ersten europäischen Porzellanmanufaktur 1710 in Meißen tobte der Kampf um den Weltmarkt für das weiße Gold. Eine Geschichte aus der Vorzeit des Kapitalismus. Die Engländer behaupteten, das weiße Gold schon viel früher erfunden zu haben. Es stellte sich heraus, dass die drei Vasen, die sie als Beweis vorführten, zwar im 17. Jahrhundert in England bemalt worden sind, die Gefäße aber leider aus China stammten. Geärgert hätte sich darüber der sächsische Kurfürst August der Starke gewaltig. Zu seiner Zeit war Porzellan international ein heiß umkämpftes Gut, geraubt, gefälscht und gesammelt.

Seit die ersten Stücke aus dem Fernen Osten in den Westen gekommen sind, verdrehte das weiße Gold den Fürsten Europas den Kopf. Wie machten die Chinesen das Porzellan? Die europäischen Fürsten sind nicht hinter das Geheimnis gekommen. Bereits im 16. Jahrhundert experimentierten die Medici in Florenz mit feinem Ton, auch im Schloss von Saint-Cloud in Paris und anderswo versuchte man hinter das Geheimnis der Porzellanherstellung zu kommen – vergeblich. Bis es dem Alchemisten Friedrich Böttger schließlich gelang, Hartporzellan zu brennen – mit Hilfe des Universalgelehrten Ehrenfried Walther von Tschirnhaus.

Die Erfindung in Europa

Böttger und Tschirnhaus fanden heraus, dass man Kaolin und Quarz, Kalk hinzufügen musste, um die Mischung im Brennofen zu stabilisieren. Im März 1709 verkündete Böttger: Es war geschafft, das Geheimnis der Chinesen war gelüftet. Jahrelang hatten die beiden Männer in den Dresdner Kasematten, auf der Feste Königstein und in der Meissner Albrechtsburg unter strenger Bewachung geforscht. Im Juni 1710 zog sich die Belegschaft in die Albrechtsburg zurück, wo August der Starke Spione fürchtete. Doch Geheimhaltung war schwierig: Schon bald flohen zwei Mitarbeiter nach Wien und brachten die Rezeptur dorthin – 1718 entstand die Manufaktur in Augarten, kurz darauf in Vezzi bei Venedig.

August der Starke begann voller Argwohn selbst Überläufer anzuwerben. Die Technik verbreitete sich Schritt für Schritt durch ganz Europa – begleitet von Spionage, Konkurrenz und Geheimnistuerei.

Asiatische Wurzeln & Handelsrouten

Der Begriff Porzellan findet sich erstmals in Marco Polos Reiseberichten. China exportierte seit dem 9. Jahrhundert in den islamischen Raum, über die Seidenstraße erreichte Porzellan im 13. Jahrhundert Europa. Mit Vasco da Gama 1498 begann die Masseneinfuhr nach Europa. Portugiesen, Spanier und später die Niederländer bauten Handelsstützpunkte in Asien auf und füllten die Schiffe mit chinesischen Exporten. Besonders Jingdezhen, die alte Töpferstadt, wurde zum Zentrum der Produktion. In ihrer Blütezeit arbeiteten dort bis zu 3000 Brennöfen, die sich den europäischen Geschmäckern anpassten – mit Bibelszenen, Wappen und Tulpenmotiven.

Als jedoch 1637 in Holland die Tulpenblase platzte, brach auch für Jingdezhen ein Markt zusammen. Später führten Aufstände und der Niedergang der Ming-Dynastie zur Zerstörung vieler Werkstätten. Erst unter Kaiser Kangxi erlebte die Stadt einen Wiederaufbau.

Japan steigt in den Markt ein

Nach dem Niedergang der Ming suchten die Holländer neue Quellen und fanden sie in Japan. Auf der Insel Deshima entstand der einzige europäische Handelsposten im Land. Die Japaner hatten nach 1600 die Technik erlernt, indem sie koreanische Töpfer verschleppten. In Imari nahe Nagasaki entstand die erste japanische Porzellanproduktion. Zunächst für Adel und Kaiserhaus bestimmt, entwickelte sich daraus bald ein Exportprodukt. Der Kakiemon-Stil wurde zum Exportschlager – kostbar, elegant und von Europa hoch geschätzt. Für den Massenmarkt entstand das buntere Imari-Porzellan.

Die Konkurrenz war China ein Dorn im Auge. Doch auch die Chinesen erweiterten ihr Repertoire: mit Rot- und Grüntönen, später mit neuen Pastellfarben, die unter Kangxi mit europäischer Hilfe entwickelt wurden. Das berühmte „famille rose“-Porzellan war geboren.

Kultureller Austausch & Missverständnisse

Die asiatischen Produzenten passten ihre Dekore an europäische Vorstellungen an – und umgekehrt. So entstanden Kreuzigungsszenen mit Jesus mit Mandelaugen, buddhistische Guanyin-Figuren mit Kind auf dem Schoß wie eine Madonna, oder japanische Teller mit Tigermotiven, obwohl es dort keine Tiger gab. Ebenso kopierten Meissner Porzellanmaler asiatische Stile, doch oft mit kuriosen Ergebnissen: Tiger wirkten wie Möpse, chinesische Gewänder wie Morgenröcke, und Buddha erhielt goldene Streublümchen auf der Robe.

Aus diesen interkulturellen Missverständnissen entstand schließlich auch das berühmte Zwiebelmuster in Meißen, das eigentlich Lotus, Pfirsiche und Granatäpfel darstellen sollte. Doch für viele Betrachter sahen die Motive wie Zwiebeln aus – und der Name blieb.

Literatur & Quellen

Originaltext 2010: „Industriespionage, Fälschungen und feindliche Übernahmen“ – Porzellanstadt Selb. Historische Aufzeichnungen zu Böttger, Tschirnhaus und der Albrechtsburg Meißen. Handels- und Kulturgeschichte des Porzellans in China und Japan.

porzellanselb

Ich kaufe Porzellan überwiegend von Rosenthal und KPM von 1950 bis 1980 Studio-Line, Hubert Griemert, Tapio Wirkala, Victor Vasarely, Grießhaber, Otto Piene, Wolf Karnagel und viele mehr.