Scheibe-Alsbach – Thüringer Figurenporzellan
Seit über 150 Jahren wurde in Scheibe-Alsbach, einem Bergdorf im Thüringer Wald, Manufakturporzellan hergestellt und in alle Welt exportiert. Die Manufaktur stieg innerhalb weniger Jahrzehnte von einer kleinen Pfeifenkopfmalerei zu einem international ausgezeichneten Hersteller figürlicher Porzellankunst auf – mit Prämierungen von Wien 1873 (Grand Prix) bis zu Ausstellungen in Melbourne, Chicago, Brüssel oder Turin.
Anfänge (1835–1847)
1835 beantragte Louis Oels, Buchhalter der Porzellanfabrik Blankenhain, die Konzession zur Gründung einer Porzellanfabrik in Scheibe. Noch vor der Genehmigung begann er mit der Produktion: zunächst wurden aus (Groß)Breitenbach bezogene Weiβware-Pfeifenköpfe bemalt, wenig später stellte das Unternehmen – inzwischen 19 Arbeiter – eigenes Porzellan her. Da die fürstliche Kammer den Bezug von Brennholz verweigerte, verkaufte Oels 1839 an Daniel Kämpfe und Friedemann Greiner; 1844 veräußerten auch sie – aus demselben Grund – an Dressel und Johann Friedrich Andreas Kister.
Unter den neuen Eigentümern verbesserte sich die Lage spürbar: 1847 beschäftigte die Manufaktur bereits 148 Arbeiter. Zeitgenössische Berichte attestierten der Fabrik einen hohen technischen Stand.
Spezialisierung auf Figurenporzellan
Das Profil der Manufaktur war früh auf Figurenporzellan ausgerichtet – ein Bereich, der handwerkliche Höchstleistung erforderte und für guten Absatz sorgte. Um 1850 war Scheibe die einzige thüringische Manufaktur, die figürliches Porzellan in großen Auflagen herstellte; Gebrauchsporzellan spielte im Programm keine Rolle. Grundlage des Erfolgs: gute Rohstoffe, eine sehr gute Masse, perfekte Glasurbeherrschung und die Kunstfertigkeit von Modelleuren, Brennern und Malern – stets mit Blick auf die Wünsche der Kundschaft.
Programmerweiterung (1860–1894)
- 1860 – Erweiterung des Sortiments um Büsten (Dichter, Komponisten) sowie Tiere und Tiergruppen.
- 1863 – August Wilhelm Fridolin Kister, Sohn J. F. A. Kisters, wird alleiniger Besitzer.
- 1890 – Neue Gruppen (z. B. Tänzerinnen, Tanzpaare) und Tafelaufsätze kommen hinzu.
- 1894 – Altmeißner Art, Spitzenfiguren sowie historische Figuren und Gruppen bereichern das Angebot.
In den 1860er-Jahren vergrößerte man das bisher von Devotionalien und Spielzeug geprägte Angebot gezielt um Porträtbüsten mit höchster Genauigkeit. Ein Höhepunkt der 1880er/90er Jahre waren lebensgroße Büsten aus Bisquitporzellan, bemalt in gedämpften, stumpfen Farben; die komplexe Ausarbeitung von Renaissancekostümen stellte höchste Anforderungen an alle Gewerke.
Beliebte Themen: Historien & Napoleon
Unter A. W. F. Kister verlegte sich die Manufaktur in den 1890er-Jahren auf ein neues Genre: vollplastische Porzellangruppen nach Details berühmter Gemälde. Beliebte Sujets waren Werke von David, Watteau u. a. französischen Malern sowie Porträts berühmter Frauen (Madame Récamier, Madame Pompadour, Marie Antoinette). Ebenfalls gefragt: Tanzpaare, Tänzerinnen und Gesellschaftsszenen. Spitze wurde nur vereinzelt verwendet – anders als etwa in Unterweißbach.
Internationalen Ruf erlangten die Napoleon-Darstellungen: Szenen aus dem Leben des Korsen, Marschälle und Generäle als Stand- oder Reiterfiguren. Sie zählen bis heute zu den gesuchtesten Stücken.
Unternehmensstationen (1905–1972)
- 1905 – Verkauf an den Schwiegersohn Offeney; Umwandlung in die A. W. F. Kister GmbH. Einführung der traditionellen Bodenmarke: durchkreuztes „S“.
- 1911 – Auf der Ausstellung in Turin erreicht die Manufaktur bereits die 12. Goldmedaille; dazu zwei Silbermedaillen und sechs Grand Prix.
- 1920 – Verkauf an Baron von Schilling; Firmenbezeichnung bleibt A. W. F. Kister GmbH.
- 1972 – Verstaatlichung zum VEB Vereinigte Zierporzellanwerke Lichte, größter Hersteller von Luxusporzellan in Europa; die S-Marke wird in modifizierter Form weitergeführt.
20. Jahrhundert & DDR-Zeit
Das 20. Jahrhundert brachte sowohl Krisen als auch neue Chancen. Nach dem Ersten Weltkrieg verzeichnete die Fabrik zunächst Absatzprobleme, konnte sich aber in den 1920er Jahren erholen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Produktion eingeschränkt, nach 1945 jedoch unter sowjetischer Verwaltung wieder aufgenommen. In der DDR wurde Scheibe-Alsbach als VEB Porzellanfiguren Scheibe-Alsbach verstaatlicht und in die Kombinatsstrukturen integriert. Der Schwerpunkt lag weiterhin auf figürlichen Darstellungen, die als Exportware Devisen einbrachten.
Markenzeichen & Sammlerwert
Alle Erzeugnisse sind echte Handarbeit in Modellierung und Bemalung. Die Originalität belegt die traditionelle Bodenmarke – das durchkreuzte „S“. Für Sammler sind frühere Napoleon-Figuren, lebensgroße Bisquit-Büsten der 1880/90er, Gruppen nach Gemälden sowie Figuren in Altmeißner Art besonders begehrt.
Fazit
Scheibe-Alsbach entwickelte sich vom kleinen Pfeifenkopf-Atelier zur führenden Thüringer Figurenmanufaktur. Kontinuierliche Qualität, virtuose Modellkunst und ein klarer Themenfokus – von Historien bis Napoleon – machten die Marke international erfolgreich und bis heute sammelwürdig.
Timeline – Porzellanmanufaktur Scheibe-Alsbach (Fortführung)
Entwicklungsschritte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert