Rosenthal Hochvoltaus

Das Hochvolthaus – Porzellan, Strom und ein Prüffeld von Weltrang

Wo Porzellan auf Millionen Volt trifft: Das Hochvolthaus der Rosenthal-Werke in Selb verband Manufakturwissen mit elektrotechnischer Forschung. Hier wurden Hochspannungs-Isolatoren entwickelt, geprüft und zur Serienreife gebracht – Grundlage moderner Energieübertragung.

Hochvolthaus – Blick in das Prüffeld mit Hochspannungsaufbau
Abb. 1: Prüffeld im Hochvolthaus – Hochspannungsaufbau für Isolator-Tests.

Einleitung

Ende des 19. Jahrhunderts begann in Selb ein neues Kapitel der Porzellangeschichte: Neben Tafel- und Formporzellan entstand eine elektrotechnische Abteilung, die Porzellan als Hochleistungswerkstoff für Isolatoren nutzte. Die Anforderungen der aufkommenden Elektrizitätsversorgung stiegen rasant; Leitungen wurden länger, Spannungen höher, Übertragungsweiten größer. Um die Qualität unter realen Bedingungen zu sichern, wurde ein eigenes Hochvolthaus errichtet – mit Prüffeldern, Messplätzen und einem beispiellosen Versuchsapparat. Das Gebäude wurde zum Herzstück eines Innovationssystems, das Manufakturkunst, Materialforschung und angewandte Elektrotechnik verband.

Vom Manufakturwissen zur Hochspannung

Porzellan besitzt ideale Eigenschaften für elektrische Anwendungen: hohe Dielektrizitätsfestigkeit, glatte wasserabweisende Oberflächen, Temperatur- und Alterungsbeständigkeit. Die Selber Ingenieure und Modelleurteams kombinierten dieses Wissen mit der Erfahrung der Brennmeister. So entstand Schritt für Schritt eine Produktpalette von Niederspannungs- über Mittel- bis zu Hochspannungsisolatoren – vom Teller- und Stützisolator bis zum Kappensystem für Freileitungen und Schaltanlagen.

Entscheidend war, dass Prüfen und Fertigen sich am selben Ort verzahnten. Fehlerbilder aus der Versuchspraxis – Kriechstrecken, Teilentladungen, Funkenüberschläge unter Regen, Schnee oder Salznebel – führten unmittelbar zu Verbesserungen in Masse, Formgebung und Glasur. Das Hochvolthaus war damit nicht nur Bauwerk, sondern Labor, Qualitätsamt und Ideenwerkstatt.

Im Prüffeld: Millionen Volt unter Kontrolle

Herzstück des Hochvolthauses war das Prüffeld. Hier erzeugten Transformatoren, Impulsgeneratoren und Kondensatorbänke Prüfspannungen vom Dauerwechselstrom bis zur Blitzstoßbeanspruchung. Normgerechte Anordnungen erlaubten Trockenspannungs- und Nassspannungsprüfungen unter künstlichem Regen, ebenso Verschmutzungsprüfungen mit definierten Salzschichten. Ergebnis waren Kennlinien für Kriechstrecken, Durchschlags- und Überschlagfestigkeiten – die Basis für Leitungsbau, Umspannwerke und Bahn-Oberleitungen.

Die Form eines Isolators ist mehr als Ästhetik: Tropfnasen, Schirme, Rippen und glasharte Oberflächen steuern den Abfluss von Wasser, verlängern Kriechwege und reduzieren Teilentladungen. Im Hochvolthaus wurden diese Details systematisch optimiert. So entstanden Konstruktionen, die weltweit zum Standard wurden und die großen Netzausbauprojekte des 20. Jahrhunderts ermöglichten.

Architektur, Organisation und Sicherheit

Das Gebäude selbst war auf Sicherheit und Messgenauigkeit ausgelegt: massive Mauerwerkswände, hohe Hallen für große Elektrodenabstände, geerdete Gitter und abgeschirmte Messräume. Kräne und Schienensysteme vereinfachten das Handling tonnenschwerer Prüfkörper. Der kurze Weg zwischen Brennöfen, Glasurhallen, Modellbau und Prüffeld beschleunigte die Entwicklungszyklen – eine frühe Form integrierter Fertigung.

Neben der Technik prägten Menschen das Haus: Keramiker, Brennmeister, Elektroingenieure, Messtechniker. Ihr gemeinsames Ziel: verlässliche Isolatoren für Netze, die immer weiter, höher und leistungsfähiger wurden. Kooperationen mit Hochschulen und Energieversorgern sorgten dafür, dass neue Erkenntnisse schnell in die Praxis gelangten.

Bedeutung für die Energieübertragung

Die im Hochvolthaus geprüften Isolatoren trugen wesentlich dazu bei, lange Hochspannungsleitungen wirtschaftlich und sicher zu betreiben. Sie ermöglichten die Übertragung von Wasserkraft aus den Alpen, die Anbindung kohlegefeuerter Großkraftwerke und später die Integration neuer Energiequellen. Technische Normen und Prüfverfahren, die in Selb entwickelt oder mitgeprägt wurden, fanden international Anerkennung.

Auch kulturell steht das Hochvolthaus für eine Selber Tradition: die Fähigkeit, aus Manufakturkunst Hochtechnologie zu machen. Es belegt, dass Porzellan nicht nur an der Tafel, sondern als präziser Ingenieurwerkstoff in kritischen Infrastrukturen unverzichtbar ist.

Ausblick und Fazit

Heute erinnern die historischen Prüffelder und Dokumente an den Pioniergeist, mit dem das Hochvolthaus betrieben wurde. Seine Geschichte verknüpft Materialkunde, Design und Energietechnik – und zeigt, wie interdisziplinär Innovationen entstehen. Für die Stadt Selb und die Rosenthal-Tradition ist das Hochvolthaus ein Schlüsselbau: Es steht für Präzision, Forscherdrang und den Mut, neue Anwendungsfelder für Porzellan zu erschließen. In einer Zeit, in der Netze digitaler und Energiequellen vielfältiger werden, bleibt die Lehre aktuell: Qualität entsteht dort, wo man Material, Fertigung und Prüfung als Einheit denkt.

FAQ zum Hochvolthaus

Antworten auf häufige Fragen rund um Prüffeld, Porzellan-Isolatoren und Technikgeschichte.

Was war die Aufgabe des Hochvolthauses?
Das Hochvolthaus diente als Prüf- und Forschungszentrum für Porzellan-Hochspannungsisolatoren. Hier wurden Prototypen und Serienmuster unter realitätsnahen Bedingungen getestet und weiterentwickelt – von Trockenspannungs- und Nassprüfungen bis zu Blitzstoß-Versuchen.
Warum nutzt man Porzellan als Isolator-Werkstoff?
Porzellan besitzt hohe Dielektrizitätsfestigkeit, glatte, wasserabweisende Oberflächen, ist alterungs- und temperaturbeständig und lässt sich in präzisen Formen brennen. Diese Eigenschaften sorgen für lange Kriechstrecken und eine hohe Überschlagfestigkeit.
Welche Prüfungen wurden im Prüffeld durchgeführt?
Normgerechte Trockenspannungsprüfungen, Nassspannungsprüfungen (künstlicher Regen), Blitzstoß-/Impulsprüfungen, Verschmutzungsprüfungen (z. B. Salznebel) sowie thermische und mechanische Tests. Die Ergebnisse flossen direkt in Form, Masse und Glasur ein.
Wie hoch waren die Prüfspannungen?
Je nach Epoche reichten sie vom Netz-Wechselstrom bis zu Blitzstoßprüfungen im Millionen-Volt-Bereich. Hohe Hallen, große Elektrodenabstände und geerdete Einbauten gewährleisteten dabei sichere Messbedingungen.
Was ist ein Kegelsteg- bzw. Kappensystem-Isolator?
Ein modularer Isolatortyp für Freileitungen, bei dem mehrere Porzellan-Teller über Metallkappen mechanisch gekoppelt werden. So lassen sich je nach Spannung Stapel bauen, die Kriechweg und mechanische Tragfähigkeit exakt an die Anwendung anpassen.
Worin unterscheidet sich Porzellan von Polymer-/Silicon-Isolatoren?
Porzellan ist anorganisch, hart und glashart, sehr widerstandsfähig gegen UV, Hitze und Alterung, jedoch schwerer und spröde. Polymere sind leichter und schmutzabweisend, erfordern aber andere Alterungs- und Erosionsprüfungen. In vielen Netzen werden beide Technologien eingesetzt.
Welche Rolle spielte die Architektur des Hochvolthauses?
Die Architektur war Teil der Messgenauigkeit: massive Wände, hohe Hallen, abgeschirmte Messräume, Krananlagen für schwere Prüfkörper und kurze Wege zwischen Modellbau, Brennöfen, Glasur und Prüffeld – eine frühe Form integrierter Entwicklung.
Kann man das Hochvolthaus heute besichtigen?
Der Zugang hängt vom aktuellen Eigentum/Nutzung ab. Für historische Informationen empfiehlt sich das Porzellanikon (Standort Selb/Hohenberg) sowie lokale Archive/Publikationen zur Rosenthal-Technikgeschichte.
Welche Bilder zeigen das Prüffeld?
Im Artikel eingebunden: Prueffeld_3.jpg (Aufbau), Prueffeld_2.jpg (Innenansicht), Prueffeld_1.jpg (Isolatorstapel im Hochvoltfeld). ALT-Texte und Titel sind SEO-optimiert hinterlegt.
Wie lässt sich das Thema vertiefen?
Vertiefend sind Normen (z. B. für Hochspannungsprüfungen), historische Rosenthal-Publikationen und Literatur zur Hochspannungstechnik (Isolationskoordination, Teilentladungen, Kriechstreckenbemessung) empfehlenswert.

porzellanselb

Ich kaufe Porzellan überwiegend von Rosenthal und KPM von 1950 bis 1980 Studio-Line, Hubert Griemert, Tapio Wirkala, Victor Vasarely, Grießhaber, Otto Piene, Wolf Karnagel und viele mehr.