Interview 1975
Wie wurde Tapio Wirkkala (Betonung auf der ersten Silbe, ein rollendes rrr) Designer, Entwerfer von Weltruf, belohnt mit vielen Gold- und Silbermedaillen vieler Trienalen, vertreten in ungezählten Ausstellungen, Museen, Ehrendoktor? Nach dreijährigen Studium an der „Taideteolinen Oppilaitos“(unschwer übersetzt mit Institut für industrielle Formgebung) in Helsinki begann der 1915 in Finnlands Hauptstadt Geborene seine Karriere als Graphiker. Dauerhaftes Zeugnis seiner Arbeit sind Finnlands Geldscheine – echte Wirkkalas, 1947 hervorgegangen aus einem Wettbewerb. Schicksalhafter für ihn (und das finnische Design) wurde indes ein anderer Wettbwerbssieg von 1947.
Damals rief die alt-ehrwürdige Glashütte iittala junge Entwerfer auf, dem Glas und der Glasproduktion neue Wege zu öffnen. Ein Neuling und Branchenfremder namens Wirkkala überzeuge damals souverän, kassierte alle Preise, wurde iittalas Mann, wurde ganz Finnlands Tapio Wirkkala. Das Glas hatte ihn seither nie wieder losgelassen. Zwar wurden ihm Keramik, Porzellan, Stahl und Holz ebenso vertraute Werkstoffe; zwar ist sein Name mit dem Finndolch Puukko ebenso verbunden wie mit dem sensationellen schwarzen Porzellan für Rosenthal; zwar erkor die amerikanische Zeitschrift „House Beautiful“ 1951 eine Wirkkala-Holzschale zum „most beautiful object of the year“. Aber sein Traum, die grosse künstlerische Herausforderung seins Lebens, ist verknüpft mit dem Glas. Und in Tapio Wirkkala hat Glas seinen Meister gefunden.
Glas gib ihm Arbeitsfreude
Das Bekenntnis des Meisters kann nüchtern klingen: „Mit Glas arbeite ich gern. Es ist ein interessantes Material, das mir Arbeitsfreude gibt.“ Wie wichtig das mit der Arbeitsfreude ist, wird deutlicher, wenn man von Wirkkala erfährt, dass er in erster Linie für sich selbst entwirft (freilich mit der bescheidenen Einschränkung: „Es ist aber wahrscheinlich, dass die von mir entworfenen Dinge auch einigen anderen Leuten gefallen“). Immer neue Ausdrucksformen zu finden, Stimmungen auszudrücken, die Natur seiner Lieblingslandschaft – Lappland – in Glas zu übersetzen.
Das ist es, was er will. Er formt seine Glasformen eigenhändig, tastet sich an die Grenzen der technischen Möglichkeiten, sägt, meisselt, schneidet neue Formen in Graphit („Eine komplizierte und schmutzige Arbeit, aber ich sehe gleich das Ergebnis; sehe, ob das Glas so will wie ich es will“), fordert ihnen das Äusserste an skulptureller Eleganz, makelloser Funktion ab. Und immer wieder die Vision des Urerlebnisses vor Augen – schmelzendes und schon wieder gefrierendes Eis, Gletscher in Ultima Thule – wie eine der bekanntesten Wirkkala Glasserien hieß, Ultima Thule, äußerster Norden – gefrorene Stille, gläserne Welt.
Tapio Wirkkala war der grandold Man des finnischen Designs. Manchmal war er daheim in seinen Reihenhaus am Stadtrand von Helsinki, zusammen mit seiner Frau Rut Bryk, die ihrerseits einer der bedeutendsten Keramik-Künstlerinnen ihres Landes ist und ihr Atelier bei Arabia hatte. Oft muss er als Repräsentant seines Landes hinaus in die Welt reisen. Dann hielt er die unvermeidliche Pfeife noch fester zwischen den Zähnen, murmelt: „Die Pfeife verschliesst den dummen Mund“, schwieg am liebsten wieder und träumte sich zurück in sein Land, seine Heimat, sein wahres Zuhause. Seine Hütte in Ultima Thule, im fernsten Lappland, jenseits des Inarisees. Das wichtigste kann man nur in einer Gegend erfassen, wo der nächste Nachbar dreißig oder vierzig Kilometer weit ist, wo nur das Summen der Mücken und das Klopfen des eigenen Herzens zu hören ist.