Hutschenreuther in den 1970er-Jahren
Die 1970er-Jahre waren für Hutschenreuther (Selb und Hohenberg) eine Umbruchzeit. Die Porzellanindustrie stand damals unter internationalem Wettbewerbsdruck, reagierte aber mit neuen künstlerischen Impulsen. Besonders bei Vasen, Service-Formen und Studio-Line ähnlichen Objekten holte man Designer und Künstler hinzu, die frischen Wind in die Kollektionen brachten.
Designer & Künstler bei Hutschenreuther ab den 1970er Jahren
- Ole Winther (Dänemark) – Entwarf u. a. die Serviceform „Papagena“ und dekorative Vasen mit klarer skandinavischer Linie; funktional und schlicht-elegant.
- Fritz Heidenreich – Einige Tierplastiken wurden in den 70ern neu aufgelegt und verbanden Klassik mit modernerem Programm.
- Hans Achtziger – Absolvent der Fachschule Selb, später Professor; geometrische Reliefvasen und strukturierte Objektformen.
- René Küng (Schweiz) – Minimalistische Vasen und Porzellanobjekte zwischen Gebrauchs- und Kunstobjekt.
- Heinz Werner – Farbintensive, expressive Vasen- und Objektdekore.
- Studio-Entwürfe – zeitgenössische Kooperationen u. a. mit Ole Winther, René Küng, Hans Achtziger; limitierte Kunstvasen und Wandteller.
Typische Entwicklungen der 70er-Jahre bei Hutschenreuther
- Neue Serviceformen mit klareren, kantigeren Linien (Abkehr vom Nachkriegs-Zierstil).
- Dekore in kräftigen Farben – Orange, Braun, Oliv, Gold – typisch für die 70er-Jahre.
- Reliefvasen mit geometrischen Mustern und strukturierter Oberfläche.
- Hinwendung zu Sammlerobjekten (Jahresteller, limitierte Reihen) zur Ansprache des Liebhaber-Marktes.
Ost/West: Eigentum & Zugriff (1945–1990)
- Altrohlau (Stará Role bei Karlsbad, ČSSR) – Werk ging nach 1945 durch Enteignung verloren; während des Kalten Krieges lag es hinter dem „Eisernen Vorhang“. Hutschenreuther in der BRD hatte keinen Zugriff; Produktion lief dort staatlich/sozialistisch weiter (u. a. im EPIAG-/Thun-Verbund).
- Annaburg (Sachsen-Anhalt, DDR) – Traditionsstandort in der sowjetischen Besatzungszone/DDR; auch hier bestand kein westdeutscher Zugriff. Betriebe wurden volkseigen verwaltet.
- Westliche Werke – Von Hutschenreuther tatsächlich geführt wurden u. a. die Standorte Selb, Hohenberg und Tirschenreuth in der BRD.
Die in westdeutschen Katalogen/Marken geführten Namen „Altrohlau“ oder „Annaburg“ bezogen sich daher auf Traditionslinien, nicht auf einen realen Zugriff während des Kalten Krieges.
Hintergrund & Fakten
- Unternehmensstruktur: 1969 Umwandlung in eine Holding zur Bündelung der Standorte in der BRD (u. a. Selb, Hohenberg, Tirschenreuth).
- Marktstrategie: Ausbau von Sammelobjekten/Jahrestellern neben Gebrauchsporzellan.
- Gestaltungstrends: „Erdige“ Farbtöne, skandinavischer Einfluss, Relief- und Strukturglasuren.
- Wirtschaft: Starker Wettbewerbsdruck durch Importe (Japan, Osteuropa); verstärkte Exporte (u. a. USA, arabischer Raum).
- Formenportfolio: Erfolgreiche Linien wie „Papagena“ sowie modernisierte Klassiker (z. B. „Regina“, „Monbijou“).
- Strukturwandel Ende der 1980er-Jahre: Mit der politischen Öffnung nach Osten verschärfte sich die Konkurrenz im Massensegment (Tschechien, Polen u. a.); zahlreiche kleinere Dekor-/Zulieferbetriebe in Oberfranken gerieten unter Druck.
- Weiterer Verlauf: Ab den 1990ern zunehmende Konzentration; 1997 Übernahme der Hutschenreuther AG durch Rosenthal.
Figuren der Kunstabteilung
Auch in den 1970er-Jahren spielten figürliche Arbeiten aus der Kunstabteilung Hutschenreuther eine Rolle. Sie bildeten ein Bindeglied zwischen der klassischen Tradition des Hauses und den neuen künstlerischen Strömungen. Einige bedeutende Figuren und Künstler im Programm:
- Fritz Heidenreich – Neuauflagen seiner berühmten Tierplastiken wie „Panther“, „Schneeleopard“ oder „Rehgruppe“.
- Gunther Granget – Figuren, teilweise im Bundeskanzleramt.
- Hans Achtziger – Entwürfe für dekorative Wandreliefs und Kleinplastiken, die Kunst und Gebrauchsobjekt verbanden.
- Traditionelle Klassiker – Tänzerinnen, Kinder- und Tierfiguren, die auf den Märkten der 1970er-Jahre weiterhin stark nachgefragt waren.
Die Kunstabteilung diente damit nicht nur als kreatives Labor für neue Ideen, sondern auch als Markenzeichen für Qualität, mit dem Hutschenreuther seinen Platz zwischen klassischer Porzellanplastik und zeitgenössischem Design behauptete.