Kommunisten

Selb, die Hochburg der Kommunisten

Geschichtliches | 1932 wählte in der Stadt fast jeder Dritte die KPD. Die Arbeiter lebten angesichts der hohen Weltwirtschaftskrise in großer Not. Porzelliner starben 18 Jahre eher als Handwerker. Es ist Anfang der Dreißigerjahre, als in Selb einige junge Männer eine verwegene Idee haben. Die Porzellanindustrie ist als Folge der Weltwirtschaftskrise in großen Nöten, viele Menschen sind arbeitslos und müssen von einer kargen Armenunterstützung leben. Da beschließen die jungen Männer, für Selber Porzellan zu werben. Sie bauen sich, wahrscheinlich aus Sperrholz, eine mehrere Meter hohe Kaffeekanne, malen sie weiß an und schreiben darauf: “Kauft Porzellan!” Im Inneren ziehen sie Bretter ein, auf denen sie in Etagen übereinander schlafen. Vor die Kanne montieren sie eine Deichsel, mit der sie das ungewöhnliche Gefährt durch Oberfranken ziehen. Unendliche Leidensfähigkeit.
Dr. Albrecht Bald erzählt diese Geschichte, um die große Not zu beschreiben, die immer wieder unter den Arbeitern der Porzellanindustrie herrschte. Der pensionierte Studiendirektor hat die Lebensbedingungen der Porzelliner erforscht und darüber eine Doktorarbeit geschrieben. “Die Leidensfähigkeit der Menschen war unendlich”, erzählt er. “Mir hat sich tief eingeprägt, in welch desolaten Verhältnissen die Leute lebten.” Das hatte mehrere Gründe. Zum einen fehlte es an Wohnraum; sechs oder sieben Personen in einem Zimmer waren normal. Dank der florierenden Porzellanfabriken hatte sich Selb schnell entwickelt. Während der Ort im Jahr 1855 nur 3500 Einwohner hatte, lag die Zahl 1939 bereits bei 13 000. Zu der Zeit war Selb hinter Bamberg, Hof, Bayreuth und Coburg die fünftgrößte Stadt in Oberfranken.
Nasse Säcke über den Kopf
Zum anderen lag es an den Bedingungen in der Fabrik. Für die Männer war die Arbeit hart, etwa für alle, die bei Temperaturen von mehreren Hundert Grad das Porzellan aus den Brennöfen holen mussten. Nasse Säcke, die sie sich über den Kopf zogen, schützten nur notdürftig. Die Frauen, die für leichtere Arbeiten angelernt wurden, erhielten sehr niedrigen Lohn. Männer wie Frauen litten unter der gefürchteten Staublunge. Der allgegenwärtige Silikatstaub aus der getrockneten Porzellanmasse drang in die Lungenbläschen, verklebte sie und löste die meist tödlich verlaufende Tuberkulose aus. Entsprechend niedrig war die Lebenserwartung. Nach einer Untersuchung des Selber Arztes Dr. Franz Bogner aus dem Jahr 1908 erreichte die bürgerliche Bevölkerung in Selb ein Durchschnittsalter von 61 Jahren, während Porzelliner bereits mit 43 Jahren starben. Man habe sich mit Galgenhumor getröstet, erzählt Albrecht Bald: “Sterben muss jeder”, sei ein geflügeltes Wort gewesen. Die Menschen hätten keine Möglichkeit gehabt, woanders Arbeit zu finden, sie haben sich in ihr Schicksal gefügt.
Die große Zeit der Porzellanindustrie in Selb und den benachbarten Städten Rehau, Wunsiedel, Röslau und Arzberg lag etwa zwischen 1850 und 1914. Eine Porzellanfabrik nach der anderen machte auf, Arbeiter wurden dringend gebraucht. Sie kamen aus der Oberpfalz und Böhmen und waren meist Bauernkinder, die sich bessere Verdienstmöglichkeiten erhofften. Da man vor dem Ersten Weltkrieg das Bürgerrecht brauchte, wenn man sich irgendwo niederlassen wollte, waren die Zugewanderten zwar als Arbeitskräfte geduldet, hatten aber keine Rechte. Beispielsweise durften sie nicht wählen.
Man muss sich die Arbeitsverhältnisse damals wohl so ähnlich vorstellen wie jetzt in China: Aus dem ländlichen Raum zugewanderte Arbeiter produzieren zu Hungerlöhnen Sachen, die sie sich selbst niemals leisten können. Sieht man die kunstvoll verzierten Porzellane von damals in den Museen, kann man sich kaum vorstellen, unter welchen Entbehrungen die edlen Stücke hergestellt wurden.
In der Zeit der Weimarer Republik besserten sich die Arbeitsbedingungen dank der Sozialgesetze zwar, aber die wirtschaftliche Lage der Fabriken hatte sich deutlich verschlechtert, weil im Ersten Weltkrieg die Absatzmärkte in Amerika, Süd-, Ost- und Nordeuropa größtenteils weggefallen waren. Eine hohe Arbeitslosigkeit war die Folge. Die Not und Verzweiflung nach der Weltwirtschaftskrise lässt sich an den Wahlergebnissen ablesen. Im November 1932, bei der letzten freien Reichstagswahl vor der Nazizeit, kam die Kommunistische Partei in Selb auf 30 Prozent der Stimmen, die SPD erreichte 18 Prozent, während Hitlers NSDAP auf 41 Prozent kam. Die Kommunisten errangen in jener Zeit in Selb bayernweit ihre besten Ergebnisse.
Bessere Arbeitsbedingungen
Albrecht Bald, der 1946 in Rehau geboren wurde, kennt die Arbeitsbedingungen der Porzelliner nicht nur aus seinen Forschungen, sondern auch aus Familienerzählungen. Sein Großvater war Modelleur, seine Großmutter arbeitete ebenfalls in der Fabrik. Der Großvater gehörte damit zur Porzelliner-Aristokratie, denn Modelleure und Maler hatten deutlich bessere Arbeitsbedingungen. Sie konnten es sich in den Hoch-Zeiten der Porzellanindustrie sogar leisten, montags blau zu machen. Im 19. Jahrhundert hat das der Fabrikherr toleriert. Nach dem Ersten Weltkrieg hätte man das aber als Vertragsbruch bewertet, erzählt Bald. Im Grunde waren mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bereits die Zeiten der Hochkonjunktur in der Porzellanindustrie vorbei.

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