Das erstmals 1281 urkundlich erwähnte Selb erlangte bis weit ins 18. Jahrhundert Bedeutung als Bergbaustandort in Verbindung mit Hammer- und Eisenschmelzwerken. Der in der Gegend vorkommende Granit wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem zur Herstellung von Mühlsteinen und von technischen Walzen für die Porzellanindustrie genutzt. Am 18. März 1856 zerstörte ein Stadtbrand die gesamte Stadt und machte 3.500 Einwohner obdachlos.
Mit dem Wiederaufbau änderten sich das Stadtbild und die Erwerbsstruktur grundlegend. Impulsgeber für den Aufschwung und der Weiterentwicklung der Industrie Selb, der Stadt des Porzellans, war Lorenz Hutschenreuther, der 1857 die erste Porzellanfabrik in Selb errichtete, nachdem sein aus Thüringen eingewanderter Vater Carl Magnus bereits 1822 in Hohenberg eine Porzellanfabrik gegründet hatte.
Die im benachbarten Thüringen und Böhmen vorkommenden erforderlichen Rohstoffe (Kaolin, Feldspat und Quarz), ausreichende Holz- und Kohlevorkommen für die Befeuerung der Brennöfen und das bedeutende Arbeitskräftereservoir begünstigten die industrielle Entwicklung. Die industrielle Serienfertigung von Porzellan machte das „Weiße Gold“ auch für Normalbürger erschwinglich.
In der Fabrik fanden viele der arbeitslos gewordenen Weber eine neue Zukunft. Der Bahnanschluss an die Strecke Hof-Eger im Jahre 1864 begünstigte die einsetzende, rasante Industrieentwicklung in Selb. Es gründeten sich zahlreiche Porzellanfabriken wie z.B. Jakob Zeidler, Rosenthal oder Heinrich.
Stammbaum Porzelliner Familien
Stefan Stroessenreuther
Nordostbayern war die Hochburg der Porzellanindustrie. Porzelliner Familien wie Krautheim, Winterling, Seltmann, Zeh & Scherzer prägten die Landschaften in Hochfranken bis heute.
Porzellanindustrie Selb
Um 1900 bestanden in Selb 20 Porzellanfabriken mit zusammen 100 Rundöfen. Die Stadt wuchs bis zum Jahr 1930 auf über 14.000 Einwohner an. Die Zahl der Porzellanfabriken sank jedoch im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der Inflation der zwanziger Jahre. Die meisten Fabriken gingen durch Fusionen an andere Firmen über, die sich wiederum zu Weltmarken entwickelten. Heute noch sind die weltweit bekannten Marken Rosenthal, Hutschenreuther und Villeroy&Boch (vorm. Heinrich) in Selb zu finden, wobei nur noch bei Rosenthal produziert wird.
Nach dem 2. Weltkrieg kam es wieder zu einem starken Aufstieg der Porzellanindustrie, die zu hohen Arbeitskräftebedarf und dem Anwachsen der Bevölkerung auf bis zu über 24.000 Einwohner führte. Es begannen die goldenen Jahre der Stadt, in der die großen Porzellanfirmen ein starkes Engagement für Kultur und Sport zeigten und überall in der Stadt gebaut und verschönert wurde. Die aus aller Welt kommenden Künstler und Designer trugen zu einem reichen kulturellen Leben bei. Die Krise der Porzellanindustrie war in den neunziger Jahren nicht mehr zu übersehen.
Vor allem die Firmen, die nicht auf Technisierung und Rationalisierung gesetzt hatten, gerieten in große Schwierigkeiten. Die mit der Wedervereinigung einhergehenden Probleme wie dem großen Fördergefälle zwischen West und Ost sowie den Billiglohnangeboten aus Osteuropa und Fernost verschärften die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Zahl der Arbeitsplätze in den Porzellanfirmen ging von 5.000 im Jahr 1965 auf heute unter 1.000 Beschäftigte zurück. Der Niedergang der Porzellan Industrie Selb in den 90er Jahren war nicht mehr aufzuhalten. Heute arbeiten noch ca. 350 Rosenthaler in Selb und einige Dutzend Menschen in den Werksverkäufen.
Die auf 17.500 Einwohner geschrumpfte Stadt hat sich im Zuge des Strukturwandels mittlerweile zu einem Industriestandort entwickelt hat, an dem sich neben der keramischen Industrie der Maschinen-und Anlagenbau, die Automobilzulieferindustrie und die Kunststoffverarbeitung etabliert haben. Die Arbeitslosenquote der Region ist im Vergleich zum sonstigen Bayern nach wie vor sehr hoch, wobei besonders die gering qualifizierten Arbeitnehmer, von denen es früher in der Porzellanindustrie sehr viele gab, ein großes Problem darstellen, da sie nur schwer zu vermitteln sind.
Dennoch bleibt das Porzellan das Element, das die Stadt geprägt hat. Ein für jeden sichtbares Zeichen des Strukturwandels der Region sind die zahlreichen leerstehenden Fabrikanlagen, in denen ehemals Porzellan oder Maschinen zu dessen Herstellung gefertigt wurden. Einige Industrieanlagen konnten durch Nachfolgebetriebe weitergenutzt werden, andere wiederum wurden z.T. vorschnell abgerissen und hinterließen tiefe Wunden im Stadtgefüge.