Porzellangründungen 1857
Die um die gleiche Zeit anbrechende allgemeine Industrialisierung sollte jedoch die Stadt bald nicht nur in ihrem Aussehen, sondern auch in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur von Grund auf verändern. Ein Jahr nach dem Stadtbrand – 1857 – beantragte Lorenz Hutschenreuther die Errichtung einer Porzellanfabrik, und mit ihr begann der unaufhaltsame Aufstieg Selbs zur jetzigen Industriestadt. Selb hat den Beinamen Stadt des Porzellans. Das ist nicht darauf zurückzuführen, dass hier zufällig einige Porzellanfabriken ihren Sitz haben, sondern darauf, dass die bayerische Qualitäts-Porzellanfabriken hier sesshaft geworden sind.
In den zwanziger Jahren beschäftigten 11 Porzellanfabriken und 5 Porzellanmalereien Tausende von Menschen. 1858 wurde durch Lorenz Hutschenreuther in Selb (Ludwigsmühle) die erste Porzellanfabrik erbaut und damit der Grundstein zu der heutigen gewaltigen und weltberühmten Porzellanindustrie in Selb gelegt. 1864 wurde die Porzellanfabrik Jos. Rieber gegründet 1867 erfolgte durch die Brüder Zeidler der Bau der Porzellanfabrik J. Zeidler & CO. in Selb Bahnhof an der Bahnlinie Hof-Selb-Eger. 1887 wurde durch Ph. Rosenthal eine dritte Porzellanfabrik errichtet. 1889 folgte der Bau einer vierten Porzellanfabrik durch Paul Müller. 1898/99 wurde die Porzellanfabrik Heinrich & CO. erstellt. 1906/07 erbaute die Firma Jäger & CO. die sechste Porzellanfabrik, die später in den Besitz der Firma Lorenz Hutschenreuther (Abteilung B) überging. 1912/13 wurden errichtet die Porzellanfabriken Gräf & Krippner und Krautheim & Adelberg. 1919 wurde die Porzellanfabrik Zeidler & Purucker37 in Selb-Bahnhof erbaut.
1920 die Porzellanfabrik Gebrüder Hofmann. 1928 erstand als letzte Porzellanfabrik die Oberfränkische Porzellanfabrik in Selb, so dass zur gegenwärtiger Zeit elf Porzellanfabriken vorhanden waren. Ausserdem bestanden 1925 fünf Porzellanmalereien in Selb. Das Porzellan ist die Königin unter den Erzeugnissen der gewerblichen Arbeit im Fichtelgebirge. Obgleich härter wie Stahl, bildet es in der Zartheit seiner Formen ein Gegenstück zum rauhen Granit mit dem es den Feldspat und Quarz als Bestandteile gemeinsam hat. Wie in der Landschaft des Fichtelgebirges, so begegnen wir auch hier das Gesetz der Gegensätzlichkeit, dem Spiel in Dur und Moll, das uns immer wieder von neuem fesselt. Das grandioseste Schauspiel der Gegensätzlichkeit bietet sich dem Auge, wenn im Dunkel der Nacht die lodernden Flammen der Porzellanöfen emporschlagen und die Konturen der Berge sich vom nächtlichen Himmel abheben.
In doppelten Sinne spricht hier der Mensch der Feuergarben und Rauchfahnen zur Natur; indem er der Majestät der Schöpfung die Majestät der Arbeit gegenüberstellt und indem er aus Erdschätzen, durch den Feuerzauber geläutert, eines der edelsten Produkte, das Porzellan entstehen lässt. Die Stadt gilt als das Weltzentrum des Porzellans. Exportiert wird in nahezu alle Länder der Erde. Rosenthal, Krautheim & Adelberg, Heinrich und Lorenz Hutschenreuther sind die bekanntesten von diesen. Fast in jedem Ort des Fichtelgebirges findet sich eine Porzellanfabrik. Was mit dem Thüringer Carolus Magnus Hutschenreuther 1814 im nordbayerischen Hohenberg an der Eger begonnen hatte, hat mit zunehmender Geschwindigkeit sich auf den ganzen Raum zwischen Coburg und Weiden ausgebreitet. Nordbayern steht in der Porzellanerzeugung Europas an der Spitze. Die grossen Unternehmen hatten in Schlesien, in Sachsen und Böhmen Zweigbetriebe.
Unternehmerpersönlichkeiten prägten das gesellschaftliche Leben, Phillipp Rosenthal , der „Geheimrat“, ist einer von diesen. 1920 nach dem ersten Weltkrieg, unternahmen die Regierungen verschiedene Experimente mit Porzellanmünzen. Solche kamen dann auch in einigen Ländern und Städten im Umlauf. Die Porzellanmünzen sollten aus hygienischen Gründen das inflationäre Papiergeld ablösen. Für das Land Bayern fertigte 1921 die Porzellanfabrik Rosenthal in einer künstlerisch und technisch einwandfreien Ausführung eine grössere Menge 50 Pfennig Stücke und zwar in den Farben weiß-blau-graugrün.
Der Grund, weshalb gerade in Selb sich diese Industrie so entwickeln konnte, war vor allem die Nähe Boehmens, das in der Lage war, die Porzellanerde (Kaolin) und zum Teil auch die fuer die Kapselherstellung benötigen Rohkaoline und Tone zu liefern. Der Hauptrohstoff war also in nicht allzuweiter Entfernung vorhanden. Ausserdem boten die grossen Wälder der Umgebung erst das Holz, bald aber wurde zu dem Brennstoff Braunkohle und Steinkohle übergegangen, und hierin war wiederum Böhmen der Hauptlieferant. Die wichtigste Voraussetzung fuer die Zusammenballung der vielen Porzellanfabriken an einem Ort war dann aber späterhin das Vorhandensein eines Facharbeiterstammes. Auch in dieser Beziehung kann Selb mit gutem Recht als die Porzellanstadt der Welt bezeichnet werden.
Viele Facharbeiter, Techniker, Angestellte, die in Selb gelebt, gelernt und gewirkt haben, haben die Porzellanindustrie Deutschlands, ja der ganzen Welt befruchtet. Es gibt heute kein Gebiet der Qualitaetsporzellan Industrie, das in Selb nicht gepflegt wird. Die Märkte, die mit Selber Porzellan beliefert werden, sind die ganze Welt. Jedes Porzellanstueck aber, jeder Teller, der aus Selb kommt, trägt in seiner Fabrikmarke den Namen der Stadt Selb in alle Welt. Die vor dem Ruin stehende Bevölkerung, die zum großen Teil durch das Feuer auch die Webgeräte, die Existenzgrundlage, verloren hatte, erhielt durch die nun schnell entstehenden Fabriken eine neue Schaffensmöglichkeit.
Die in der Nähe lagernde Porzellanerde rief andere Unternehmer auf den Plan, so Philipp Rosenthal, Krautheim & Adelberg, Franz Heinrich, Gräf & Krippner und Paul Müller. Mit diesen Firmengründungen ging ein Aufschwung auch von Handel, Handwerk und Gewerbe vor sich, wie in gleichem Maße die Technik sich ihren Weg in die Stadt suchte. 1894 wurde die Bahnstrecke von Selb nach Selb-Plößberg eröffnet, die den Anschluss an die Bahnlinie Hof – Eger herstellte; 1896 entstand die erste Wasserversorgungsanlage und am 9. Dezember 1907 erstrahlten die Straßen Selbs zum erstenmal in elektrischem Licht. Damit war die neue industrielle Basis, auf die die Wirtschaft und das Leben gestellt worden waren, geschaffen.
Plössberg erscheint erstmals im ältesten Nothaftischen Lehenbuch von 1360/65. 1448 wurde Plössberg zum marktgräflichen Halsgericht Selb gezogen. 1818 wurde die mittelbare Gemeinde Plößberg errichtet. 1863 kam die Gemeinde zum Bezirksamt Rehau. 1865 wurde die Eisenbahn Linie Hof-Eger gebaut. Zur gleichen Zeit gründete in Bahnhofsnähe Jakob Zeidler eine Porzellanfabrik. Nach dem Bau der Eisenbahnlinie nach Selb erhielt der Bahnhof den Namen Bahnhof Selb, nach dem zweiten Weltkrieg Selb-Plössberg. Kurz vor dem Kriege entstand am westlichen Ortsrand die Siedlung Vielitz. Nach dem Krieg wurden Schule, Kindergarten und Evang. Kirche neben zahlreichen Wohnungen erbaut.
Die Porzellanfabrik, die zuletzt im Besitz der Firma Rosenthal war, wurde stillgelegt, eine kurze Zeit wurde sie Domizil einer Möbelhandelsgesellschaft, die in Konkurs ging. Schulisch wurde ein Verband mit Schönwald und Erkersreuth gegründet. Am 1.6.1977 zählte Selb-Plössberg 1214 Einwohner. 1900 Selb hat bereits 7.200 Einwohner. Inzwischen bestehen 20 Porzellanfabriken mit zusammen 100 Rundöfen. 1919 Am 1. Juli 1919 wird Selb zur kreisfreien Stadt erklärt. 1930 Die Stadt ist auf 14.200 Einwohner angewachsen. Die Zahl der Porzellanfabriken ist jedoch im Zuge der Weltwirtschaftskrise und der Inflation der 20er Jahre gesunken. Die meisten Fabriken sind durch Fusionen an andere Firmen übergegangen.
Die übrig gebliebenen entwickeln sich zu Weltmarken. Heute noch sind die weltweit bekannten Marken Rosenthal, Hutschenreuther und Villeroy&Boch (vorm. Heinrich) in Selb ansässig. Mit Hilfe aus dem benachbarten Thüringen, Sachsen und Böhmen requirierter Facharbeiter und aus der Region rekrutierter angelernter Arbeitskräfte nimmt das Unternehmen einen nur von kurzen Konjunkturkrisen überschatteten Aufstieg. Besonders intensive Bauphasen fallen in die Jahre zwischen 1870 und 1875. Der Bedarf an Arbeitskräften bringt die Notwendigkeit der Schaffung von neuem Wohnraum mit sich. 1879 beziehen die ersten Porzelliner die noch heute existenten Arbeiterwohnhäuser auf der anderen Seite der Bahnlinie.
In einer Periode nie zuvor gekannten Wachstums seit 1890 wächst die Fabrik Gebäude um Gebäude durch Erweiterungen und Aufstockungen, neue Ofenanlagen. 1914 finden sich hier insgesamt 10 Rundöfen sowie ein kleinerer Kiesofen zur Aufbereitung der Hartrohstoffe Feldspat und Quarz. 400 Mitarbeiter sind jetzt hier beschäftigt. Der Arbeiterwohnungsbau geht voran, aber auch eine Fabrikantenvilla, jedoch bescheidenerer Ausführung ist vorhanden.