Porzellanindustrie in Selb – Von den Anfängen bis heute
Das erstmals 1281 urkundlich erwähnte Selb erlangte bis weit ins 18. Jahrhundert Bedeutung als Bergbaustandort mit Hammer- und Eisenschmelzwerken. Der in der Region vorkommende Granit wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem zur Herstellung von Mühlsteinen und technischen Walzen für die Porzellanindustrie genutzt. Am 18. März 1856 zerstörte ein verheerender Stadtbrand die gesamte Stadt und machte 3.500 Einwohner obdachlos. Mit dem Wiederaufbau änderten sich Stadtbild und Erwerbsstruktur grundlegend. Impulsgeber war Lorenz Hutschenreuther, der 1857 die erste Porzellanfabrik in Selb errichtete.
Industrialisierung & Aufstieg
Die Rohstoffe Kaolin, Feldspat und Quarz, ausreichend Holz- und Kohlevorkommen sowie ein großes Arbeitskräftereservoir begünstigten die industrielle Entwicklung. Die Serienfertigung machte das „Weiße Gold“ auch für Normalbürger erschwinglich. Viele arbeitslos gewordene Weber fanden in der Porzellanproduktion eine neue Zukunft. Mit dem Bahnanschluss an die Strecke Hof–Eger 1864 nahm die industrielle Entwicklung rasant Fahrt auf. In der Folge gründeten sich zahlreiche Fabriken, darunter Jakob Zeidler, Rosenthal und Heinrich.
Blütezeit um 1900
Um 1900 bestanden in Selb 20 Porzellanfabriken mit insgesamt 100 Rundöfen. Die Stadt wuchs bis 1930 auf über 14.000 Einwohner. Durch die Weltwirtschaftskrise und die Inflation der 1920er Jahre sank die Zahl der Betriebe jedoch. Viele Fabriken wurden fusioniert und bildeten die Grundlage für spätere Weltmarken. Heute sind Rosenthal, Hutschenreuther und Villeroy & Boch (vormals Heinrich) bekannte Namen, von denen allerdings nur noch Rosenthal in Selb produziert.
Nachkriegszeit & goldene Jahre
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es erneut zu einem starken Aufschwung. Die Bevölkerung wuchs auf über 24.000 Einwohner, die großen Porzellanfirmen engagierten sich im kulturellen und sportlichen Leben der Stadt. Künstler und Designer aus aller Welt prägten das kulturelle Klima. Diese „goldenen Jahre“ endeten jedoch mit der beginnenden Krise der Porzellanindustrie in den 1990er Jahren.
Krise & Strukturwandel
Firmen, die nicht auf Technisierung und Rationalisierung setzten, gerieten in Schwierigkeiten. Probleme der Wiedervereinigung, Fördergefälle zwischen Ost und West sowie Billigimporte aus Osteuropa und Fernost verschärften die Lage. Die Zahl der Beschäftigten sank von 5.000 im Jahr 1965 auf unter 1.000 in den 1990er Jahren. Heute arbeiten nur noch rund 350 Menschen bei Rosenthal in Selb und einige Dutzend in Werksverkäufen.
Die Stadt, deren Bevölkerung inzwischen auf rund 17.500 geschrumpft ist, wandelte sich zu einem Industriestandort mit Schwerpunkten im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobilzulieferung und in der Kunststoffverarbeitung. Doch die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zu Bayern hoch, besonders bei gering qualifizierten Arbeitnehmern.
Erbe & heutige Bedeutung
Trotz Krise und Strukturwandel bleibt das Porzellan das prägende Element Selbs. Leerstehende Fabrikanlagen und abgerissene Werke sind sichtbare Zeichen des Wandels, doch manche Gebäude wurden durch Nachfolgebetriebe genutzt. Porzellan ist tief im kulturellen Erbe verankert und bleibt untrennbar mit der Identität Selbs verbunden.





Timeline – Gründungen der Porzellanindustrie in Selb
Von den ersten Fabriken 1857 bis zur Oberfränkischen Porzellanfabrik 1923
Weiterführende Artikel
Mehr über das Leben und Wirken von Philip Rosenthal sowie sein kulturelles Erbe erfahren Sie im Beitrag Das Vermächtnis des Porzellankönigs.
Das kulturelle Zentrum seines Schaffens war Schloss Erkersreuth, wo Rosenthal lebte und seine Visionen verwirklichte. Heute kann man dort sein Lebenswerk hautnah erleben.
Wie die Industrie in Selb wuchs, zeigt der Beitrag Eisenbahngüterverkehr in Selb: Er erklärt, wie Bahnanschlüsse Rohstoffversorgung und Porzellanexport ermöglichten.