Marktredwitz – Auf dem Weg von Marktredwitz nach Thölau passiert man etwa auf halber Strecke, im Wald gelegen, ein Anwesen, das man auf den ersten Blick für ein barockes Schlösschen halten möchte. Doch die gelbe Fassade mit weißen Stuckelementen und Rundbogenfenstern täuscht: Oberfranken war bekanntlich lange Zeit eine hoch industrialisierte Region. Zeugnisse dieser Epoche finden sich heute unter anderem noch in Form etlicher Gebäude, etwa herrschaftlicher Unternehmervillen. So wurde auch der vermeintliche Barockbau erst in den Jahren 1921 bis 22 errichtet.
Bauherr war Dr. Adalbert Zoellner, der damals bereits seit zwei Jahrzehnten für Rosenthal tätig war und seit 1915 die Porzellanfabrik Thomas leitete, die Rosenthal 1908 übernommen hatte. Mit der Produktion kriegsrelevanter Produkte sicherte Zoellner auch während des Ersten Weltkrieges das wirtschaftliche Überleben von Thomas. Nach Kriegsende expandierte das Unternehmen unter Zoellners Leitung und steigerte die Zahl seiner Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren von gut 400 auf knapp 1000.
1921 wurde Dr. Zoellner von Philipp Rosenthal gebeten, sich ein repräsentatives Wohnhaus in Marktredwitz zu errichten, in dem auch ausländische Gäste der Firma angemessen und „in deutschem Ambiente“ untergebracht werden könnten. So entstand nach Plänen des Münchner Architekten John Rosenthal – nach anderer Quelle „Rosendahl“ – innerhalb kurzer Zeit eine Villa mit 40 Zimmern und zahlreichen Nebenräumen, stilistisch am französischen Barock, aber auch am moderneren Jugendstil orientiert. Der erste Entwurf sah sogar einen schlossartigen Turm vor, der jedoch nach einem Brand des Rohbaus nicht wieder aufgebaut wurde.
Edle Innenausstattung
Vor der reich ornamentierten, symmetrischen Hauptfassade mit sieben Fensterachsen breitete sich eine abgetreppte Parkanlage aus. Der Zugang zum Haus wurde an die straßenseitige Schmalseite gelegt. Hier findet sich zunächst das Vestibül mit angegliederter Garderobe, bevor man über eine halbgeschossige Innentreppe die zentrale Diele erreicht. Mit edler Holzvertäfelung, offenem Kamin, dem Gemälde einer archaischen Jagdszene und beiderseits des Kamins angeordneten Vitrinen zur Präsentation der Waffen des Hausherrn, wurde der Raum als rustikales Jagdzimmer gestaltet.
Zum Garten reihten sich die Bibliothek – hinter einer „Geheimtür“ gelegen – das Herrenzimmer, das Zimmer der Dame, das Musikzimmer sowie der Speisesaal mit anschließendem Wintergarten auf. Rückseitig schloss ein eingeschossiger Wirtschaftstrakt an den Hauptbau an. Eine zweiarmige Treppe führt von der Diele ins Obergeschoss, wo sich einst die privaten Räume der Familie fanden. Weitere Räume waren unter dem typisch barocken Mansarddach untergebracht.
Dr. Zoellner, seine Ehefrau und die beiden Kinder des Paares nutzten den Prachtbau nur relativ kurze Zeit als Hauptwohnsitz: Zwar wurde Zoellner 1934 noch zum Vorstandsvorsitzenden der Rosenthal AG ernannt, doch bereits ein Jahr später musste er als „Nicht-Nazi“ seinen Posten räumen. Als Abfindung erhielt er unter anderem das „Rosenthal-Porzellan-Haus“ in München, wohin die Familie übersiedelte. Das Marktredwitzer Anwesen diente fortan nur noch als Ferien- und Wochenendhaus.
1957 starb Dr. Zoellner. Das Haus wurde in der Folgezeit an die Caritas veräußert, die es zum Familienerholungsheim umbaute, den Wirtschaftstrakt entfernte und einen wuchtigen, neuen Flügel anbaute. Im ehemaligen Park wurden Bungalows errichtet. Im Wesentlichen erhalten blieben erfreulicherweise die repräsentativen Räume im Erdgeschoss, die lediglich teilweise durch Wanddurchbrüche zueinander hin geöffnet wurden.
Drei Jahre Leerstand
Nachdem die Caritas ihre Einrichtung Ende der 1990er Jahre aufgab, stand das Anwesen zunächst einige Jahre leer. Seit drei Jahren bietet es nun Menschen, die vom Prader-Willi-Syndrom (PWS) betroffen sind, ein betreutes Zuhause. Unter der Bezeichnung „Luisenhof Sankt Benedikt“ hat hier die SeniVita-Gruppe eine heilpädagogische Einrichtung mit zwei Erwachsenen-Wohngruppen und einer WG Jugendlicher eröffnet, bis zu 30 Bewohner können aufgenommen werden.
Bei PWS handelt es sich um eine leichte geistige Behinderung, die unter anderem mit unstillbarem Appetit bei ausbleibendem Sättigungsgefühl, Kleinwuchs, aber auch psychischen Problemen verbunden ist. Insbesondere aufgrund des zwanghaften Essverhaltens benötigen Betroffene eine intensive und individuelle Betreuung, die in allgemeiner orientierten Einrichtungen meist nicht gegeben ist. Die Spezialisierung auf PWS-Betroffene stellt dennoch bislang eine Besonderheit dar, die sich in Deutschland nur selten findet. Auf dem Gelände der Villa wird den Bewohnern mit sportlichen und handwerklichen Aktivitäten, einigen Tieren und anderen pädagogischen und Freizeit gestaltenden Beschäftigungen vieles geboten.
Zukunft gesichert
Doch das Schloss ist für die Bewohner kein Elfenbeinturm und so stehen auch Ausflüge in die Region auf dem Programm. Mit der Gründung des Luisenhofes zog eine besondere Einrichtung in ein besonderes Haus, dessen Erhalt somit auf absehbare Zeit gesichert erscheint.
Quelle: Johannes Kottjé