Das Porzellanzentrum im Fichtelgebirge

Der gute Ruf des Fichtelgebirge ist vor allem in seinem Reichtum an landschaftlichen Schönheiten begründet, der ihm eine führende Stellung im Range der deutschen Mittelgebirge sichert, so dass unser Fichtelgebirge als eines der beliebtesten Erholungs- und Wandergebiete Deutschland gilt. Aber auch im Wirtschaftsleben nimmt es eine besondere Stellung ein. Unter den zahlreichen Industriezweigen ist in der Gegenwart die keramische Industrie besonders hervorzuheben, die in fast allen Orten des Fichtelgebirges vertreten ist. Die bemerkenswerteste Entwicklung nahm Selb, das seit einigen Jahrzehnten den Mittelpunkt der deutschen Porzellanindustrie bildet. Wie von berufener Seite festgestellt wurde, ist der Raum Selb sogar das bedeutendste Porzellanerzeugungsgebiet auf der ganzen Erde, denn es gibt wohl nirgends einen Platz mit einer gleichen Konzentration von Porzellanfabriken wie in Selb, wo sich die grössten Porzellanfabriken der Welt befinden und seit Kriegsende auch die zuständige Fachorganisation ihren Sitz hat, nämlich der Verein der keramischen Industrie.

Von den Gästen aus dem In- und Ausland wird oft die Frage gestellt, warum gerade das abseits vom grossen Verkehr liegende Selb sich zur Porzellanzentrale Deutschlands entwickelte. Die bekannte Tatsache, dass sich Industrien vornehmlich in der Nähe von Rohstoffgebieten ansiedeln, trifft auch auf Selb zu, denn das nahe Böhmen und die benachbarte Oberpfalz beherbigen ausgiebige Lagerstätten der für die Herstellung von Porzellan notwendigen Rohstoffe vorallem Kaolin. Während Brennmaterial zunächst die ausgedehnten Waldungen um Selb reichlich Holz boten, ging man später zur Kohlenfeuerung über und wieder wurden Böhmen und auch das Nachbarland Sachsen Hauptlieferanten für Industriekohle. Besonders begünstigt wurde in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung der Selber Porzellanindustrie aber durch das Vorhandensein eines bestens geschulten Facharbeiterstammes, denn Porzellan erfordert in seinem vielgestaltigen Produktionsgang sehr viel Handarbeit.

Für die Erziehung eines tüchtigen Nachwuchses erlangte die 1908 errichtete Staatliche höhere Fachschule für Porzellan in Selb grosse Bedeutung. Dem in seiner Art in Deutschland einzig dastehenden Institut obliegt die Aufgabe, den Schülern eine gründliche Ausbildung in allen Sparten der Porzellantechnik zu bieten. Die Schule verfügt deshalb über eigene Erzeugnisstätten für Porzellan, in welchen sich der Betrieb schulmässig in der vom herstellungsgang gegebenen Reihenfolge abwickelt. Die Schüler erhalten dadurch Gelegenheit, die Porzellangegenstände von der Aufbereitung der Rohstoffe bis zur Dekoration selbst auszuführen. Neben Fachklassen für Maler und Modelleure wurde vor mehreren Jahren eine Abteilung für Chemie und Betriebstechnik eingerichtet. Mit welchen Erfolgen die Selber Porzellanfachschule, die in engsten Zusammenhang mit der Industrie arbeitet, ihrem Ziele dient, beweisst die Tatsache, dass aus der Anstalt schon eine staatliche Reihe von Fachleuten hervorgegangen ist und die Mehrzahl der ehemaligen Schüler sich heute in leitenden Stellungen der Porzellanindustrie befindet.

Als ein weiterer Grund für die Berechtigung, Selb als Stadt des Porzellans zu bezeichnen, kann die Vielseitigkeit der Erzeugung gelten. Während in den ältesten Porzellanfabriken mit Ausnahme der Staatlichen Manufakturen fast ausschliesslich Gegenstände des täglichen Bedarfes hergestellt wurden, waren es die Selber Fabriken, die bald den Rahmen der Möglichkeiten einer Bewertung des Werkstoffes Porzellan bedeutend erweiterten. Der Weg führte über eine Stilservice zu Luxus- und Kunstporzellanen. Um die Jahrhundertwende stellte man schliesslich das Porzellan auch in den Dienst der Elektrotechnik. Heute werden in Selb elektrotechnische Artikel von der einfachen Schaltdose bis zu Isolatoren von vier Meter Höhe aus Porzellan hergestellt.

Die grösste Leistung auf diesem Gebiete bildete die Errichtung des Hochvolthauses, eines der bedeutendsten Versuchsfelder für Hoch- und Niederspannungsisolatoren in Europa. Zu den elektrotechnischen Porzellanen gesellte sich schliesslich noch die Herstellung von Porzellanen für chemische und technische Zwecke. Mit der Vielseitigkeit der Produktion paart sich aber gleichzeitig die Güte der Erzeugung. Selber Porzellan stellt den Ausbruch des Qualitätsbegriffes dar. Trotzdem gibt es kein Ausruhen auf erreichten Höhen. Unter Ausnützung aller nur denkbaren Möglichkeiten wird ständig an der weiteren Vervollkommnung gearbeitet. Zu diesem Zwecke besitzen die Grossfirmen eigene Ateliers und Laboratorien, die für Verbesserungen und Neuheiten sowie für die Entwicklung und Ausarbeitung neuer Techniken und Verfahren sorgen. In der ganzen Welt ist Selber Porzellan aus den Werken Hutschenreuther, Rosenthal, Heinrich und Krautheim bekannt und geschätzt. Wie im Inland und auf dem Kontinent gibt es auch kein überseeisches Land, das nicht Abnehmer von Porzellan aus Selb ist.

In einer Stadt, die völlig auf die Porzellanindustrie ausgerichtet ist, entstand natürlich auch eine Reihe von Hilfs- und Zubringerindustrien. An erster Stelle nennen wir die Maschinenfabriken, die alle Spezialmaschinen für die keramische Industrie herstellen. Sägewerke und Holzwollefabriken liefern Kisten, Bretter und Holzwolle für die Porzellanfabriken. Auch ein Teil des ortsansässigen Gewerbes hat sich auf die Bedürfnisse der Porzellanindustrie eingestellt.

Der Vollständigkeit halber erwähnen wir von den übrigen Industrien in Selb noch jene Werke, die besondere Bedeutung erlangten, nämlich die seit über 250 Jahren bestehende Feinpappenfabrik Th. Jäger, die Elektrofabrik Rausch & Pausch, deren Programm sich neben Sicherungsmaterial auf elektrische Schalt- und Prüfgeräte erstreckte, und die Polsterwarenfabrik Christian Baumgärtel, die sich auf die Herstellung hochwertiger Auflegematratzen spezialisierte. Hinzu kommen noch angesehene Werke der Granit- und Brauindustrie. In der Nachkriegszeit siedelten sich ausserdem noch zwei Handschuhfabriken an. Von Interesse dürften sicherlich noch einige Zahlen aus der Porzellanindustrie sein. Sie umfasst vier Geschirrporzellanfabriken und zwei technisch-keramische Fabriken.

Beschäftigt werden rund 8000 Einwohner. Wenn auch über 2000 Arbeitskräfte aus der Umgebung stammen, so kann man doch behaupten, dass fast jede Selber Familie irgendwie mit der Porzellanindustrie verbunden und verwachsen ist. Ein erheblicher Teil des in Selb erzeugten Porzellans geht bekanntlich in das Ausland. Die Exportquote der Selber Porzellanfabriken beläuft sich auf 40%. Zum Schluss sei als Besonderheit noch erwähnt, dass selbst die Amtskette die das Stadtoberhaupt bei festlichen Anlässen trägt, aus Porzellan gefertigt wurde. Sie war ein Geschenk des Lehrkörpers der Fachschule anlässlich der 500-Jahr-Feier der Stadt Selb im Jahre 1926. Die Lehrkräfte gingen bei der Herstellung von dem Gedanken aus, dass der Oberbürgermeister der Porzellanstadt nicht eine Kette aus Gold oder Silber, sondern aus Porzellan tragen muss. Zu beachten ist, dass nicht nur die einzelnen Glieder, sondern auch die Verbindungsstücke aus Porzellan sind.

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