Selb 1920

Mit Hilfe aus dem benachbarten Thüringen, Sachsen und Böhmen requirierter Facharbeiter und aus der Region rekrutierter angelernter Arbeitskräfte nimmt das Unternehmen einen nur von kurzen Konjunkturkrisen überschatteten Aufstieg. Besonders intensive Bauphasen fallen in die Jahre zwischen 1870 und 1875. Der Bedarf an Arbeitskräften bringt die Notwendigkeit der Schaffung von neuem Wohnraum mit sich. 1879 beziehen die ersten Porzelliner die noch heute existenten Arbeiterwohnhäuser auf der anderen Seite der Bahnlinie. In einer Periode nie zuvor gekannten Wachstums seit 1890 wächst die Fabrik Gebäude um Gebäude durch Erweiterungen und Aufstockungen, neue Ofenanlagen. 1914 finden sich hier insgesamt 10 Rundöfen sowie ein kleinerer Kiesofen zur Aufbereitung der Hartrohstoffe Feldspat und Quarz. 400 Mitarbeiter sind jetzt hier beschäftigt. Der Arbeiterwohnungsbau geht voran, aber auch eine Fabrikantenvilla, jedoch bescheidenerer Ausführung ist vorhanden.

Dann der große Bruch: Der erste Weltkrieg. Der Verlust an qualifizierten männlichen Arbeitskräften, Schwierigkeiten in der Beschaffung der Rohstoffe und der Kohle. Vor allem aber das Abschneiden der Exportverbindungen bei einem gleichzeitigen Stillstand der Absätze im Inland bringen die Unternehmerfamilie wie andere Porzellanfabrikanten auch in finanzielle Schwierigkeiten. In der Not erfolgt 1917 der Verkauf an Philipp Rosenthal. Im Zeichen einer Hochkonjunktur für Porzellan schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird erweitert und ergänzt, was nur möglich erscheint. Der Komplex erhält seine heutige Gestalt, erinnernd an das Erscheinungsbild einer Burganlage, gelegen auf einer Anhöhe. Eine neue Kunstabteilung entsteht. Hier werden innovative Künstler tätig und tragen wie die seit 1918 hier produzierte Form „Maria Weiß“ bei zum Weltruf des Unternehmens und seiner Marke. 1926 kommt Steingut zum Sortiment hinzu, schließlich auch Elektroporzellan. Die Belegschaft hat sich trotz der Porzellankrise bis 1928 auf den Stand von 900 Beschäftigten erhöht.

Massive Arbeitslosigkeit prägt die Region in den dreißiger Jahren, die Porzellanfabriken müssen ihre Belegschaften drastisch verkleinern. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg geht es wieder aufwärts. Schon kurz nach dem Zusammenbruch 1945 wird hier in Selb-Plößberg wieder produziert, der Ersatzbedarf der Bevölkerung bedeutet für die Porzellanindustrie eine gewaltige Nachfrage. 1950 kommt Philip Rosenthal, der Sohn, aus der Emigration aus England zurück. Er ist vom gleichen Geist beseelt wie sein Vater. Hat sich die Modernisierung des Erscheinungsbildes des deutschen Porzellans zur Aufgabe gemacht. Bald schon steht er dem Unternehmen seines Vaters vor. Es kommt zu einer neuen Blüte in Selb-Plößberg. Die ersten avantgardistischen Porzellanformen, sie werden in dieser Fabrik modelliert und hergestellt. Der Finne Tapio Wirkkala, später der Däne Björn Wiinblad werden hier tätig, hier ist der Geburtsort der Rosenthal Studio Linie. Dennoch muss Philip Rosenthal alsbald erkennen, dass in dieser Fabrik nicht mehr wirtschaftlich gefertigt werden kann. Zusammen mit Walther Gropius, den Philip Rosenthal gut kennt, entsteht die Porzellanfabrik Rosenthal am Rothbühl. Bis zum Ende der 60er Jahre wird der Umzug der Fertigung abgeschlossen. Die Fabrik in Selb-Plößberg stellt zum Jahreswechsel den Betrieb ein. Es folgt Verkauf, Konkurs, Verkauf, Konkurs, wieder Verkauf und Konkurs. Die Bausubstanz verfällt immer mehr, 1984 brennt ein Gebäudeteil ab. Alteisenverwerter kommen und entsorgen was immer aus Eisen ist.


Quelle: Museen in Industriedenkmalen – Europäisches Industriemuseum für Porzellan und Technische Keramik Selb-Plössberg, Wilhelm Siemen M.A.

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