Feindliche Brüder Hutschenreuther und Rosenthal

So richtig gut waren sich die Nachbarn noch nie. Doch bisher begnügten sich die zwei im bayerischen Selb beheimateten Renommierunternehmen der deutschen Porzellanindustrie, Hutschenreuther und Rosenthal, mit einer Politik gelegentlicher Nadelstiche. In jüngster Zeit aber ist aus der natürlichen Rivalität Feindseligkeit geworden. Branchenavantgardist Rosenthal und die traditionelles Dekor bevorzugende Hutschenreuther AG tragen nun ihre Patent und Markenstreitigkeiten mit harten Bandagen vor den Gerichten aus. Dabei operierte der einstige Fremdenlegionär Rosenthal bisher -weniger glücklich, als sein Wettbewerber; der hat jedenfalls nach Ansicht der Richter die besseren Argumente.

Vorbei sind die idyllischen Zeiten, da sich die beiden ungleichen Porzellan-Brüder noch vorwiegend in ihrem Heimatstädtchen ins Gehege kamen, wenn’s ums Renommee ging: Als vor acht Jahren beispielsweise Rosenthal zusammen mit der Stadt Selb ein Hallenschwimmbad plante, kam ihm Hutschenreuther zuvor und baute ein Freibad. Rosenthal griff damals, erbost darüber, dass der böse Nachbar ihm die Schau stehlen wollte, noch selbst zum Telephon, um Hutschenreuther-Chef Roland Dorschner umzustimmen: „Wenn ihr schon etwas tun wollt, so baut doch eine Turnhalle.“ Doch der kannte kein Pardon. Seither hat Selb dank des Eifers seiner besten Steuerzahler ein Freibad und ein Hallenbad. Von solchen Kuriositäten abgesehen: Das Streben beider Firmenchefs, die Stadt im »bayerischen Sibirien“ nahe der tschechischen Grenze aufzuwerten und für qualifizierte Führungskräfte attraktiv zu machen, war von Erfolg gekrönt. Rosenthal kurbelte das kulturelle Leben mit einer Fülle von Veranstaltungen im „Feierabendhaus“ an, Hutschenreuther schrieb vor allem die Sportförderung auf seine Fahnen. Doch immer wieder traktierten sich die Kontrahenten mit „Abmahnungen“, wenn der eine den Eindruck hatte, der andere wolle sich an seine Erfolge anhängen und mehr oder weniger kreative Ideen „nachempfinden“.

Als etwa Hutschenreuther vor wenigen, Jahren die Kollektion „Rendezvous“ präsentierte, erblickte Rosenthal darin ein Plagiat des eigenen Arrangements »Plus“ und beantragte beim Landgericht Hof eine einstweilige Verfügung. Damals gelang es noch, den Streit beim Schiedsgericht des Verbandes der Keramischen Industrie beizulegen. (Dessen Vorsitzender war Philip Rosenthal bis zu seiner Berufung zum Parlamentarischen Staatssekretär unter Bundeswirtschaftsminister Schiller im Herbst 1970.) Die Auseinandersetzungen aber gingen weiter. Zwar hatte der auf Unkonventionalität bedachte Rosenthal beizeiten die Porzellanfirma zu einem „Unternehmen für Tischkultur und gehobenen Wohnbedarf“ ausgebaut. Glas, Keramik, Bestecke und teure „Systemmöbel“ mit Snob- Appeal kamen ins Programm. Als aber der SPD- Politiker nach handfestem Krach mit Schiller sich wieder in Selb etablierte, irritierte ihn doch, dass die Porzellanmacht Hutschenreuther immer stärker wurde.
Schon 1970 hatte sich die damalige Lorenz Hutschenreuther AG die C. M. Hutschenreuther AG einverleibt. Und nun, 1972, fusionierte die neue Gesellschaft auch noch mit der Porzellanfabrik Kahla. Rosenthals spitze Parade: „Wir wollen nicht mehr, sondern besseres Prozellan machen. Der Branche gefielen derlei Bosheiten nicht; erst recht nicht mehr, als Exzentriker Philip Rosenthal in einem Interview wissen liess, mit einer der Firmen (C. M. Hutschenreuther) hätten „vorher Kontakte zu uns stattgefunden“. Aber er habe sich „aus unternehmerischer Sicht“ nicht noch stärker „in einer lohnintensiven und durchaus problematischen Branche“ engagieren wollen. Wie auch immer, mit rund 24 Prozent Marktanteil rangierte Hutschenreuthers Porzellan nun deutlich vor Rosenthal mit etwa 18 Prozent.

Zwei Jahre später kam es zum offenen Streit. Er entzündete sich ausgerechnet an jenem Teil der Rosenthal-Kollektion, über den der Schöpfer der Studio-Linie bisher selbst die Nase gerümpft hatte, an den traditionellen Geschirrdekors: „Wir haben es nicht nötig“, so hatte er 1962 getönt, „uns mit sogenannten Stilmöbeln und den zugehörigen Porzellanen einzurichten und uns ein Armutszeugnis auszustellen. Warum wollen wir frühere Perioden nachmachen?“

Als aber im vergangenen Jahr die Nostalgiewelle auch die Keramikbranche erreichte und Hutschenreuther-Chef Dorschner bereits öffentlich angekündigt hatte, dass man darauf setzen werde, mochte sich Rosenthal diesem Trend nicht länger verschliessen: Bei einer „Stunde der Nostalgie“ in München gab er im März 1974 bekannt, dass unter der Marke Rosenthal künftig nur die von zeitgenössischen Designern gestalteten Studio-Porzellane und -Gläser verkauft würden. Für die teilweise über fünfzig Jahre alten Kollektionen Maria, Aida, Sanssouci und Monbijou kündigte er eine neue eigene Marke an. Bald darauf wurde sie beim Münchner Patentamt angemeldet: „Porzellan Manufactur Selb.“
Mit der neuen Marke wollte Rosenthal, ohne das Studio-Image seines Namens zu verlieren, mehr Freiheit am Markt gewinnen; vor allem auch mehr Händler beliefern als jene 650 mit eigener Studioabteilung, für die er die Marke „Rosenthal“ reserviert hatte. Mindestens 230 der rund 4000 Fachgeschäfte in der Bundesrepublik kämen dafür in Frage, so hatte man errechnet.

Als Philip Rosenthal seine Idee im August veigangenen Jahres auf der Frankfurter Messe publik machte und die junge Marke gar zum „Porzellan der Könige“ hochstilisierte, schlug die Konkurrenz zu: Hutschenreuther schickte eine Abmahnung und warf Rosenthal wettbewerbswidriges Verhalten“ wegen der Okkupation des Städtenamens Selb vor.
Rosenthal aber lehnte es rundweg ab, dss Porzellan der Könige umzubenennen, und erhob zur Überraschung der Gegenseite Gegenklage beim Landgericht Hof, die Hutschenreuther unverzüglich mit einer Widerklage beantwortete. Dazu Rosenthal-Vorstand Karl Heinz Eicke*- berg: „Es wurde langsam Zeit, dass wir uns zur Wehr setzten. Wir wollten uns nicht den Start unserer Marke kaputtmachen lassen. Eickenberg argwöhnt, dass Hutschenreuther bewusst bis unmittelbar vor dem Start mit den Mahnschreiben gewartet habe, obwohl der Markenname sicherlich bereits vorher durchgesickert sei: „Wir lassen nicht an unserer Geschäftspolitik herumsägen.“

Hutschenreuther-Chef Dorschner freilich findet für das Vorgehen des forschen Nachbarn Worts, die dem bedächtigen Mann sonst fremd sind: Ich bedaure ausserordentlich, dass Rosenthal mit den anmassenden Versuch, das Renommee der Stadt Selb und die Erfolge der ganzen Porzellanindustrie in egoistischer Weise für sich zu nutzen, erhebliche Unruhe in Branche und Handel gebracht hat. Inzwischen ist Rosenthal nicht nur in Hcf, sondern auch vor dem Oberlandesgericht Bamberg gescheitert. Nichts half der Nachweis, dass Rosenthal in Selb mehr Fabriken und Mitarbeiter als der Kontrahent hat und, wie Eickenberg vorrechnet, ohne die Hotelware mit Geschirr und Zierporzellan auf einen höheren Umsatz als Hutschenreuther kommt.

Doch nicht nur im heimischen Oberfranken wurde die neue Marke fürs erste juristisch gestoppt, auch in Berlin. Dort hatte die von Friedrich dem Grossen 1763 gegründete Staatliche Porzellan-Manufaktur KPM (das „K“ deutet auf das „Königliche“ von einst hin) scharf auf die Verwendung des Begriffs Manufactur reagiert und eine einstweilige Verfügung beantragt. Das Landgericht Berlin bestätigte die Meinung der KPM: „Rosenthal musste sich den harten“ Vorwurf der Irreführung des Verbrauchers und des Verstosses gegen die guten Sitten im Wettbewerb gefallen lassen.
Die Berliner Richter erkannten nämlich, dass die „betroffenen Verkehrskreise“ den Begriff Manufaktur immer noch mit der Vorstellung der Handarbeit verknüpfen. In dem Versuch Rosenthals, sich für Service, die bereits lange unter dem „berühmten Namen“ dieser Firma auf dem Markt sind, ein neues Image zu verschaffen, ohne etwas Neues oder Andersartiges zu bieten, erblickte das Berliner Landgericht eine unerlaubte Nutzung einer landläufigen Bezeichnung. Der Manufaktur- Begriff werde so nivelliert und entwertet.

Notgedrungen hat Rosenthal die Nostalgie- Kollektion in „Classic Rose Collection“ umbenannt, will aber aus „grundsätzlicher Erwägung, auch im Interesse vieler anderer Unternehmen der Branche“ in einem ordentlichen Hauptverfahren „wegen des hohen Anteils manueller Fertigung bei der Herstellung hochwertiger Porzellane“ weiter um die „Manufactur“ kämpfen. Sicher nicht zu Unrecht vermutet man eine konzertierte juristische Aktion der Selber und der Berliner Konkurrenz: KPM-Geschäftsleiter Adolf Ketnath war früher Assistent Dorschners. Aus Protest dagegen, dass der Industrieverband sich in der Auseinandersetzung neutral verhielt, hat die KPM inzwischen ihre Mitgliedschaft dort aufgekündigt. Der Oberpfälzer Ketnath pathetisch: „Für mich alten Porzellaner ist das fast wie aus der Kirche austreten.“ Verbandsvorsitzender Wilhelm Stark aus Waldsassen will ihn noch umstimmen: „Wir können doch nicht in die Firmenpolitik hineinreden und Philip auf die Finger klopfen.“

Literaturquelle:

DIE ZEIT, 23.05.1975 Nr. 22

porzellanselb

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