Handweberstädtchen Selb

Die Keramischen Monatshefte brachten anlässlich der Internationalen Kunstausstellung in Dresden 1901 eine erste Kritik sowohl an den Künstlern wegen mangelnden keramischen Einfühlungsvermögens als auch an der Fabrikleitung wegen willkürlicher Abwandlung eingereichter Künstlerentwürfe. Zur offiziellen Gründung der Kunstabteilung der Rosenthal AG in Selb unter der Leitung von Julius-Wilhelm Guldbrandsen kam es 1910 und im gleichen Jahr konnte die Firma das Zentral-Laboratorium, geleitet vom Chemiker Adalbert Zoellner, in Selb einrichten. Dabei arbeitete das Labor der Kunstabteilung zu und lieferte dieser die benötigten Farben und Farbglasuren. Unterstützt durch die Einführung von Farben aus Metalloxyden für die Unterglasurmalerei sollte sich Rosenthal-Zierporzellan in den kommenden Jahren durch besonders qualitätsvolle Bemalung auszeichnen.

Bereits 1910 zeigte Rosenthal auf der Brüsseler Weltausstellung mit Vasen und Schalen nach Form- und Malereientwürfen von Guldbrandsen und Ziergefässen mit dreidimensionalen Tierfiguren nach Modellen des Münchner Bildhauers Ferdinand Liebermann eine völlig neue Zierporzellan-Kollektion. In den folgenden Jahren wurden unter anderem auch Plastiken von Richard Aigner, Albert Caasmann, Karl Himmelstoss, Ernst Wenck und Willy Zügel in Porzellan vervielfältigt, sodass die unterschiedlichsten Bildhauerschulen des Jugendstils vertreten waren.

Allem voran die Porzellanmaler, die von Anbeginn eine herausragende Stellung innehatten, verdienten gut bei Rosenthal und Arbeiter sowie Angestellte dieser Firma waren zeitweise die bestbezahltesten der ganzen Branche. Dies änderte freilich nicht das konstante Lohngefälle der Porzelliner gegenüber anderen Gewerben. Nur die Textilarbeiter wurden noch schlechter entlohnt. Das niedrige Lohnniveau war in Selb und Umgebung auch bedingt durch die von den Unternehmern streng behütete Monokultur vor Ort. Dennoch, bereits ab etwa 1905 gab es bei Rosenthal voll bezahlten Urlaub, auch für werdende Mütter schon lange vor der entsprechenden gesetzlichen Regelung. Rosenthal baute – freilich immer noch viel zu wenige – Wohnungen mit sehr günstigen Mieten für seine Arbeiter, finanzierte Kinderkrippen und sogar die Anlage von Schrebergärten.

1912 wurde die Betriebskrankenkasse der Rosenthal-Werke gegründet. Zur Durchführung der notwendigen Modernisierungsmassnahmen zum Schutz vor Quarzstaublunge (Silikose) konnten sich die Verantwortlichen in der Porzellan herstellenden Industrie jedoch lange nicht entschliessen. Bereits im Jahre 1909 hatte Dr. Franz Bogner, Assistentenarzt am Krankenhaus in Selb und 1948 Bürgermeister der Stadt, eine Langzeituntersuchung über die Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse bei den Porzellanarbeitern mit erschreckenden Ergebnissen veröffentlicht. Unter anderem hatte Bogner die durchschnittliche Lebenserwartung eines Porzellanarbeiters auf 44,2 Jahre errechnet. Dabei waren die Arbeiter oftmals bereits als Lehrlinge mit 13 oder 14 Jahren in die Firma eingetreten. Treffend heisst also ein Buch aus der Schriftenreihe des Deutschen Porzellanmuseums Hohenberg, das diese Verhältnisse und Arbeitsbedingungen beschreibt: Leben für das weiße Gold. Bogner hatte jedenfalls als Fazit seiner Untersuchung den Einsatz von Staubabsaugvorrichtungen, Ventilatoren, Atemgeräten und Staubschutzmasken in den Fabriken gefordert. Annähernd befriedigte Maßnahmen wurden jedoch erst Jahrzehnte nach Bogners Arbeit eingeleitet. Schwer waren die Arbeitsbedingungen in allen Abteilungen der Porzellanfabriken und Profitstreben hatte eindeutig Vorrang vor Gesundheitsschutz und sozialen Rechten.

Dass die Brennöfen bei Temperaturen von über 50 Grad Celsius, auch bei über 70 Grad, ausgeräumt wurden, war Usus bis zur Anschaffung der Tunnelöfen in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Brenner, die noch an den alten Rundöfen gearbeitet hatten, erinnern sich, dass ihre Fingernägel gestunken haben durch die Hitze, die in den Ofen geschüttetes Wasser noch zum Kochen brachte. In 1912 lag der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte, die hauptsächlich als Druckerinnen und Malerinnen, in Gießerei, Glasurabteilung und Packerei arbeiteten, in manchen Betrieben bereits 50%. Im selben Jahr hatte der allgemeine, durch Erfolge im In- und Ausland bedingte Aufschwung seinen Höhepunkt erreicht, denn auch die Fertigung von Porzellan-Isolatoren in der 1900 gegründeten Abteilung E der Firma Rosenthal für die fortschreitende Elektrifizierung brachte steigende Umsätze und Gewinne. 1913, ein Jahr vor Beginn des 1. Weltkrieges, liess die Nachfrage innerhalb Deutschlands dann wieder sehr stark nach und dies konnte nur ungenügend durch eine Erweiterung des Exports in andere europäische Länder und nach Amerika aufgefangen werden.

Das Design des ersten ganz und gar weißen, als undekorierten, nach der Frau des Firmengründers benannten Porzellanservice Maria von Rosenthal trat 1915 seinen Siegeszug an und wurde zu einem der meistverkauften aller Zeiten. Gegenüber Fachhändlern hatte Philipp Rosenthal erklärt: Wenn Sie Maria nicht kaufen, brauchen Sie garnichts mehr von mir zu kaufen. Die Jahre zwischen 1914 und 1949 waren dann aber gekennzeichnet von zwei Weltkriegen, zwei Inflationen und der Weltwirtschaftskrise. Während der Kriege wurde die Porzellanproduktion umgestellt auf einfache Gebrauchsartikel, Kantinengeschirre, Haushaltsgeräte, aber auch auf Figurinen und Wandteller patriotischen Ausdrucks.

Firmenmitarbeiter wurden zum Wehrdienst einberufen und wegen des Alliierten Einfuhrverbots von in Deutschland produzierten Waren und durch die Seeblockaden sank der Verkauf ins Ausland enorm. Belastet war die Situation überdies zunehmend durch Rohstoffknappheit, aber es gab einen grossen Bedarf an elektrotechnischem Porzellan durch den Ausbau des militärischen Nachrichtenwesens. Als am 9. November 1918 der Kaiser abdankte, die Republik ausgerufen wurde und der Krieg zu Ende war, begann eine völlig neue Phase der deutschen Geschichte

  • 1865 wurde die Bahnlinie Hof-Selb-Plössberg-Asch-Eger in Betrieb genommen
  • 1894 wurde die Bahnlinie Selb-Plössberg – Stadt Selb eingeweiht; Grosse Porzellanfabriken hatten Gleisanschluss bis ins Werk
  • 1914 wurde in Selb ein „neuer Bahnhof“ fertiggestellt; Entwurf Architekt Prof. Fritz Klee; unteranderem wurde durch F. Klee auch das Rosenthal Casino 1911 und 1925 das Krematorium entworfen
  • 1926 Porzellanausstellung in der Fachschule Selb für die heimische Porzellanindustrie zur 500 Jahrfeier Selb – 1426 verlieh Marktgraf Friedrich von Brandenburg dem Markte Selb das sogenannte Wunsiedler Stadtrecht.

Es gab einen geradezu unglaublichen Bedarf an Porzellanwaren und die Export-Geschäfte konnten wieder aufgenommen werden. Um 1921 entstanden besonders farbenprächtige Aufglasurdekore mit reichen Poliergoldstaffagen nach Entwürfen des jungen Grafikers Kurt Wendler und Tanzfiguren des Bildhauers Constantin Holzer-Defanti zeugen von der hohen Qualität der Farben und Glasuren und vom grossen handwerklichen Können des Malereipersonals bei Rosenthal. Die Produktion lief auf Hochtouren, soweit dies der immer noch andauernde Kohlemangel zuliess. Durch die zunehmende Inflation und ständig an Wert verlierende Mark kam es zuerst zu besseren Wettbewerbschancen im Ausland und im Inland legte man in Sachwerten an. Dies alles kam oberflächlich betrachtet der Porzellanindustrie zugute, aber importierte Rohstoffe und Brennmaterialien wurden immer schwerer bezahlbar. Im Oktober 1923 konnte die Währung stabilisiert werden, was dann auch einen kurzzeitigen Rückgang der wirtschaftlichen Situation in der Porzellanindustrie nach sich zog. Zu einer bedeutenden Steigerung der Porzellanausfuhr von 43.535 t in 1923 auf 50.361 t kam es aber bereits ein Jahr später, in 1924. Schon 1926 gingen jedoch die Inlandsverkäufe von Geschirrporzellan um beinahe ein Drittel zurück und auch die Exportzahlen nahmen ab.

Ab Mitte der zwanziger Jahre waren die Produkte des Kunstprogramms von Rosenthal überwiegend weiß belassen und es gab eine seperate Uhr- und Lampenabteilung in Dresden zur Fertigung von Uhrgehäusen und Lampenfüssen nach Künstlerentwürfen. Im Stil des Art Deco und Rokoko entstanden Vasen und Sammeltassen mit galvanisch aufgelegten Silberornamenten. Ein glattes Hotelgeschirr mit dezentem Randliniendekor, im Jahr 1928 entstanden nach einem Entwurf des Malers und Grafikers Alexander Mathey in der Geschirrabteilung von Rosenthal, entsprach ganz dem sachlichen Stil der ausgehenden zwanziger Jahre. 1929 wurde die Philipp Rosenthal Stiftung für besondere Verdienste in der keramischen Forschung sowie für soziale Zwecke eingerichtet und im gleichen Jahr die Wohlfahrtskasse für die Arbeiter und Angestellten (seit 1961: Rosenthal Sozialwerke e.V.). Die Porzellanindustrie kam schliesslich in eine tiefe Krise und die Ausfuhrmenge von 1931 betrug nicht einmal mehr die Hälfte von 1913. Im Jahr 1932 begann Rosenthal mit der Fertigung von elektrischen Widerständen in Selb, aber die Weltwirtschaftskrise spiegelte sich eben auch in Selb wieder und 1932 waren etwa ein Drittel der 14.000 Einwohner auf eine Arbeitslosenunterstützung angewiesen.

Politisch ging die Schere zwischen linken und rechten Extremisten im ganzen Land immer weiter auf. In dieser Situation kam der faschistische Adolf Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht und schaffte eine Einparteien- und Führerdiktatur. Innerhalb kürzester Zeit waren Verbände und Parteien verboten und aufgelöst, soweit sie nicht in die NSDAP eingegliedert wurden. Gewerkschaften wurden zerschlagen und die Parlamente ausgeschaltet. Mit wahnwitziger Logistik leiteten die Nationalsozialisten den Mord an den Juden in die Wege und ähnlich einer Qualitätskontrolle in der modernen Industrie wurden entartete Kunst und unwertes Leben aussortiert und vernichtet. Eine kräftig, blond und blauäugig normierte arische Menschenrasse sollte die Welt beherrschen, eine Kriegsmaschinerie und eine Vollbeschäftigung durch Reichsarbeitsdienst und Reichsautobahnbau wurden geschaffen. Durch Einberufung der Männer in den Wehrdienst entstanden in Selb kurzzeitig personelle Engpässe, die aber durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern beseitigt wurden. Im Laufe der Zeit nahmen die kriegsbedingten Belastungen auch in der Porzellanproduktion zu. Im April 1945 besetzten amerikanische Truppen kampflos die oberfränkische Region, die deutsche Armee kapitulierte am 8. Mai 1945 bedingungslos. Unter Kontrolle der Besatzungsbehörden kam die Porzellanindustrie wieder in Gang, wurde gefördert und stand bereits 1949 für den erfolgreichen Wettbewerb im In- und Ausland gut vorbereitet da.

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