Vom Weberdorf zur Porzellanstadt

Nach dieser verheerenden Feuersbrunst, die auch das marktgräfliche Schloss, zu jener Zeit das Wahrzeichen Selbs, völlig zerstörte, begann sofort der Wiederaufbau, der sich innerhalb weniger Jahre vollzog, so dass man keinen Wert auf Schmuck und Zier legen konnte, sondern schlichte Bürgerhäuser erstellte, die dem Stadtbild heute noch das Gepräge geben. War Selb einst ein weltverlorener ländlicher Ort, dessen Bewohner sich von Hausweberei und Ackerbau nährten, so begann nach dem Brand ein neuer Zeitabschnitt. Die Geburtstunde der Porzellanstadt hatte geschlagen! Lorenz Hutschenreuther kam aus dem benachbarten Hohenberg nach Selb und errichtete 1857 eine Porzellanfabrik, der eine erfreuliche Entwicklung beschieden war. Bald folgten weitere Fabrikgründungen, nämlich 1864 von Jakob Zeidler, 1868 von Josef Rieber, 1880 von Philipp Rosenthal, 1884 von Christoph Krautheim, 1890 von Paul Müller, 1896 von Franz Heinrich und 1906 von Adolf Gräf und Friedrich Krippner. In fast allen Fällen entstanden aus kleinsten Anfängen heraus Grossbetriebe der Porzellanindustrie.

Seit der Errichtung der ersten Porzellanfabrik, die im vergangenen Jahr auf ein 100jähriges Bestehen zurückblicken konnte, erlebte Selb einen steilen Aufstieg, der seinen Ausbruch nicht nur in den steigenden Einwohnerzahlen, sondern vorallem in einer ständigen Ausdehnung des Stadtgebietes fand. Dies gilt aber besonders für die Gegenwart, in der unsere Porzellanindustrie einen Höchststand erreichte, der sich auch auf die Entwicklung der Stadt günstig auswirkt. Allerdings mussten nach dem letzten Krieg erst viel grössere Schwierigkeiten überwunden werden als in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, obwohl Selb nur geringe Schäden erlitt. Neben der Versorgung der Betriebe mit Kohle und Kaolin waren es vorallem die Nachteile, die sich aus der nunmehrigen Randlage unseres Industriezentrums ergaben und heute noch nicht restlos beseitigt werden konnten.

Ohne Zweifel hat sich das Gesicht der Porzellanstadt in den letzten Jahren wesentlich verändert. Wie die Industrie entfaltet auch die Stadt eine rege Bautätigkeit, wie sie in der Geschichte noch nicht zu verzeichnen war. Erinnert sei neben der laufenden Verbesserung des Strassennetzes an mehrere grosse Bauwerke, wie den Schlachthof, das Schulhaus, den Erweiterungsbau des Krankenhauses und das Altersheim. Hinzu kommen die Neubauten der Sparkasse, der Volksbank, der Industrie-Hotel GmbH, der Stadtwerke, des Gewerkschaftsbundes usw.. Auch im Stadtkern vollziehen sich vorteilhafte Veränderungen, wobei die grosszügigen Ladenausbauten erwähnt werden müssen. Hervorhebung verdient aber besonders die Erschliessung neuer Wohngebiete. Während unmittelbar nach dem Kriege oberhalb des Stadtbahnhofes eine weitere Siedlung geschaffen wurde, an die inzwischen zahlreiche Eigenheime angeschlossen wurden, entstanden zunächst im Osten und neuerdings im Süden der Stadt völlig neue Stadtteile mit umfangreichen, meist mehrgeschossigen Wohnblöcken.

Schon oft nannte man Selb auch die Stadt der Superlative, weil sie nicht nur die grösste Porzellanfabriken aufweist, sondern leider auch die grösste Wohnungsnot, die meisten Tuberkulosekranken und die schlechtesten Verkehrsverhältnisse besaß. In letzterer Hinsicht konnten wie auf den anderen Gebieten in den letzten Jahren fühlbare Verbesserungen erzielt werden. Es ist noch nicht lange her, dass man von einer Konzentration der Verkehrsnöte in Selb sprach, weil die weltbekannte Porzellanstadt im Eisenbahnverkehr nur auf zwei bescheidenen Lokalbahnen und im Strassenverkehr nur auf Feldwege angewiesen war. In konsequenten Einsatz wurde nunmehr eine zeitgemässere Verkehrsbedienung angebahnt, die den gesteigerten Bedürfnissen des industriereichen Grenzraumes besser gerecht wird.

Das Kursbuch verzeichnet jetzt eine Eisenbahnstrecke Hof-Rehau-Selb-Holenbrunn-Marktredwitz, die noch durchgehende Verbindungen nach Bayreuth, Kirchenlaibach und Schnabelwaid ergänzen. Auch der Ausbau des Bahnhofes Selb-Stadt, der zur Zeit das einzige Gleisbildstellwerk im Fichtelgebirge hat, darf nicht vergessen werden. Im Omnibusverkehr gelang 1950 eine Verdichtung des Liniennetzes durch Eröffnung von Linien nach Bayreuth und Waldsassen, während im weitverzweigten Stadtgebiet ein Stadtlinienverkehr eingerichtet wurde. Die wichtigsten Aufgaben im Strassenverkehr bildeten einmal der Um- und Ausbau des Strassenzuges Selb – Marktleuthen-Weissenstadt-Gefress als Zubringer aus dem engeren Grenzgebiet zur Autobahn und zum anderen der Neubau der Strasse Selb-Marktredwitz, der sogenannten Porzellanstrasse, wodurch das abgelegene Selb an der Fernverkehrsstrasse Hof-Selb-Marktredwitz-Weiden-Regensburg-Rosenheim-Kufstein Anteil erhielt.

Diese Verkehrsverbesserungen werden nicht nur von der einheimischen Bevölkerung, sondern auch von den vielen in- und ausländischen Besuchern begrüsst, die in die Porzellanstadt kommen. Obwohl ihre Zahl beträchtlich ist, kann man Selb als Fremdenstadt im üblichen Sinne bezeichnen. Wie in allen Industrieplätzen sind es meist Geschäftsreisende, die in den wirtschaftlichen Unternehmungen zu tun haben. Allerdings kann Selb auch zahlreiche Gäste begrüssen, die aus wissenschaftlichen oder künstlerischen Interesse in Selb weilen, um die Erzeugnissstätten des berühmten Porzellans kennenzulernen. Viele von ihnen benützen diese Gelegenheit um von Selb aus Fahrten nach den schönsten Plätzen des Fichtelgebirges zu unternehmen. Nicht vergessen sei, dass Selb auch gerne als Tagungsort gewählt wird, zumal in den letzten Jahren die Zahl der Fremdenbetten in den Hotels und Gasthöfen durch Neu- und Erweiterungsbauten auf 157 erhöht werden konnte.

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