Vom Handweberstädtchen zur grossen Porzellanstadt Selb
Hauptsächlich durch die geographische Lage und das Fehlen grundlegender Bodenschätze bedingt, war der Raum Oberfranken noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein industriell unterentwickeltes und armes Randgebiet Deutschlands. Von den grossen Märkten war man weit entfernt und für den Export von Getreide fehlten die notwendige grosse Nachfrage sowie Ausfuhrmöglichkeiten. Für diesen Landstrich entstand keinerlei nennenswerte Förderung. Es gab ein relativ schwaches Bevölkerungswachstum und kam zu keiner Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte. Als Erwerbsquelle stand die Hausweberei im Vordergrund. Auch die Gründung einer Porzellanmalerei durch Carolus Magnus Hutschenreuther 1814 auf der Burg Hohenberg/Eger brachte keine wesentliche Veränderung. In der ganzen Region und auch in der Stadt Selb, die später zur Weltstadt des Porzellans werden sollte, sahen die Bauernfamilien einen letzten Ausweg aus der völligen Verarmung darin, gleichzeitig als Landwirt und Hausweber tätig zu sein. In dieser Situation des schwierigen Überlebenskampfes beraubte am 18. März 1856 auch noch ein schrecklicher Grossbrand in Selb die Menschen ihrer Wohnhäuser und damit auch ihrer Produktionsstätten und Erwerbsquellen.
Die Stadtverwaltung hatte die schwierige Aufgabe, um Wiederaufbau und Industrieansiedlung bemüht zu sein. Als sprichwörtlicher Retter in der Not baute Lorenz Hutschenreuther, der Sohn Carolus Magnus Hutschenreuther, im Jahre 1857 eine Porzellanfabrik in Selb. Nachdem bislang alle Bahnhöfe von Selb aus nur durch stundenlanger Fahrt mit dem Fuhrwerk zu erreichen gewesen waren, wurde 1865 als weitere wichtige Förderung der Region eine neue Bahnstrecke mit Station Selb-Plössberg gebaut. So hatte Selb nun die Möglichkeit, sich neben den nahe gelegenen Orten Schönwald, Rehau, Schwarzenbach/Saale und Arzberg zu einem Zentrum für die Porzellanindustrie in Oberfranken auszubauen. Direkt bei der Bahnstation Plössberg gründetete 1866 Jakob Zeidler seine Porzellanfabrik, die 1917 von Rosenthal übernommen und 1987 von der Stadt Selb für die Neueinrichtung eines mittlerweile höchst sehenswerten Industriemuseum für Porzellan gekauft werden sollte. Nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde eine Porzellanfabrik nach der anderen gegründet: 1879 die Porzellanfabrik Schönwald, 1880 die Firma Zeh Scherzer in Rehau, 1881 die spätere Carl Schumann AG in Arzberg und 1886 die heutige Porzellanfabrik Arzberg. Aber auch die Porzellanmalereien Philipp Rosenthal (gegr. 1879), Krautheim & Adelberg (gegr. 1884) sowie Heinrich & CO. (gegr. 1896), entschlossen sich bald, auch Rohlinge selbst herzustellen.
Das alles fiel in einer Zeit, in der die Imitation orientalischer Muster und Verzierungen gross in Mode war. So wurden auf der Weltausstellung in Wien 1873 viele Nachbildungen orientalischer Kunst, gefertigt in England, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Russland und anderen Ländern gezeigt. Spuren orientalischen Einflusses finden sich auch im Porzellandekor Oberfrankens. Aber nicht nur im kommerziellen, auch im künstlerischen Bereich wurde der Orient entdeckt. Paul Klee, August Macke und Louis Moillioet sollten schliesslich auf Tunis Reise gehen und Orientalisch-Geometrisches sollte zum integralen Bestandteil ihrer Aquarelle werden. Der Architekt Walter Gropius übernahm Elemente aus dem maurischen Spanien, die er anlässlich einer einjährigen Studienreise kennen gelernt hatte und Le Corbusier bereiste 1911 die Türkei zu intensivem Architekturstudium. Viele Anregungen, auch aus dem seldschukischen und osmanischen Form- und Dekor Repertoire, kamen nach Europa und prägten die künstlerische Entwicklung in nicht wegzudenkender Weise.
Aber zurück nach Oberfranken: die Anfänge müssen mühsam gewesen sein, doch im Jahre 1890 konnte die ursprünglich in Erkersreuth gegründete Firma Rosenthal ihren Dekorbetrieb in Selb und 1891 den Weißbetrieb ebenfalls in Selb errichten. 1897 wurde die Firma juristisch umgewandelt in Porzellanfabrik Ph. Rosenthal & CO. AG und seit dem gleichen Jahr wurde zur Herstellung von keramischen Zierdrucken eine Steindruckerei, wiederum in Selb, errichtet. Von Anbeginn beobachtete man aufmerksam den Markt und knüpfte gerne frühzeitig an modische Strömungen an. Zum Ende des 19. Jahrhunderts standen Anlehnungen an französische Porzellanformen im Vordergrund, um 1900 begann dann der Jugendstil die Gestaltung zu beeinflussen. Gebrauchsporzellan wurde bei Rosenthal zuerst hergestellt ohne die Mitarbeit bekannter Künstler, Zierporzellan in Selb und im Zweigwerk Kronach allerdings nach Entwürfen des Malers K.W. Diefenbach (figürliche Reliefs) und des Bildhauers Karl Gross (Gefässe). Auch Vasen, Schalen und Leuchter mit Lüster- als auch Marmorglasuren nach Entwürfen von Adolf Opel kamen in die Produktion.