Die Entwicklung der Porzellanindustrie – aus der Sicht von Hermann Bohrer, Selb 1930
Wenn wir von einer Entwicklung der Industrie in Selb handeln, dann können wir nur von der Entwicklung der Porzellanindustrie reden; denn alle Industrie, die sich im Laufe der letzten 70 Jahre in Selb niedergelassen hat, hängt im gewissen Sinn mit der Porzellanindustrie zusammen. Es ist nicht gelungen, irgendeine andere Industrie nach Selb zu bekommen. Das ist gewiss zu bedauern.
Es mag die Zeit einmal kommen, da man diese Einseitigkeit als grossen Fehler und Schaden erkennen wird. Der Geschichtsschreiber wird aber die Schwierigkeiten nicht verkennen dürfen, die der Anfälligmachung anderer Industrien in Selb in Wege standen, die vornehmlich im Fehlen der Rohprodukte, in der weiten Entfernung der Stadt von den grösseren Eisenbahnlinien bestanden. Auch ist die Arbeiterschaft nur auf Porzellan eingestellt.
Die Metallgruben, die im 17. und 18. Jahrhundert in unseren Gegenden Bedeutung hatten, sind ausgebaut und lohnen heute nicht mehr den Betrieb. Der Granit in Selb ist zwar ein wertvoller Stein, aber sein Auftreten ermöglicht und rechtfertigt doch nicht eine ausgedehnte Steinindustrie, wie etwa in Weissenstadt und Wunsiedel. Die Steinhauerwerke, deren Selb wohl besitzt, spielen infolgedessen gegenüber der Porzellanindustrie keine Rolle.
Ehe wir nun die Entwicklungsgeschichte der Selber Porzellanindustrie betrachten, müssen wir freilich erwähnen, dass viele Industrien, schon ehe die Brennöfen der grossen Fabriken rauchten, in Selb ihren Vorläufer besaß, in einem achtungswerten Töpferhandwerk, das in nicht geringer Blüte stand.
In Marktleuthen und Selb machte man wohl schon im Mittelalter Pfeifen in der Form eines Kuckucks, die als Kinderspielzeug auf den Jahrmärkten verkauft wurden und von denen heute in Marktleuthen und Selb noch Formen vorhanden sind. In Selb wird um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts ein Töpfermeister Merz berühmt, der grosse Kunst besass. Die Familie Merz scheint aber in Selb keine ansässige Familie gewesen zu sein, sondern ist zugezogen.
Wir verdanken Herrn Bürgermeister Kießling eine vergessene vergilbte Urkunde, den Lehnsbrief des Töpfermeisters Joh. Michael Merz zu Selb über das Töpferfeuerrecht nebst Zugehörung alla vom 27. August 1801.
Johann Nikol Merz war, als er mit der Töpfer-Feuerstelle in Selb belehnt wurde, schon ein betagter Mann von 64 Jahren und hat sein Handwerk hier nur 4 Jahre bis zu seinem Tode am 25. Februar 1803 betrieben. Von ihm lesen wir, dass er Ofenkacheln, Tiere und Figuren vom Zivil- und Militärstand, erstere in Landestracht, letztere in Uniformen modellierte. Aus seiner Werkstatt ist wahrscheinlich noch erhalten ein Kachelofen in Oberweißenbach. Derselbe zeigt starken Renaissance-Charakter.
Seine Dekoration ist keine Volkstümliche Kunst, sondern ist Imitation. Auch im Schloss zu Erkersreuth im Jagdzimmer dortselbst steht ein glasierter Töpferofen in Rokokostil, der ein Produkt heimischer Töpferkunst sein wird. Diese Öfen beweisen die Fertigkeit der Töpfer damaliger Zeit in unserer Stadt. Merz war ja nicht der einzige Töpfer; eine alteingesessene Töpferfamilie ist die Familie Schoberth. In Händen derselben befindet sich ein vom 31. August 1752 datierter Lehrbrief ihres Ahnen, des Wolf Adam Schoberth.